von Gabriele Tupy
Lebenswelt Heim: Sehr geehrter Herr Minister Mückstein, die ersten Monate Ihrer Amtszeit sind vorüber. Wie geht es Ihnen? Was freut Sie an Ihrem neuen Job besonders?
BM Wolfgang Mückstein: Es ist ein rasantes Geschäft mit täglich neuen Herausforderungen. Weitreichende Entscheidungen müssen oft rasch getroffen werden – hier sehe ich eine Parallele zum Arztberuf. Ich habe mir tatsächlich viele Prozesse einfacher und viele Wege kürzer vorgestellt. Mir ging es so wie wohl vielen BürgerInnen: Die Annahme war, dass ein Gesundheitsminister in einer Pandemiesituation eine Verordnung unterschreibt und dann gilt das. Mit Amtsantritt habe ich erst herausgefunden, wie viel Verhandlungen es dafür braucht und wie viele Kompromisse oftmals dahinterstecken. Alle Maßnahmen, die verordnet werden, sind immer eine Regierungsentscheidung.
Ich habe mich aber jedenfalls gut in die Rolle eingelebt. Ich habe ein tolles Team, das mich gut dabei unterstützt hat. Das Amt ist herausfordernd, aber spannend und man kann viel Gutes bewegen.
Lebenswelt Heim: In einer APA ots Presseaussendung Anfang Juni kommunizierten Sie: „Community Nurses erleichtern älteren Menschen den Verbleib in den eigenen vier Wänden, die Pilotphase startet im Herbst“, bis 2024 sind 150 Stellen geplant. Was wird Aufgabe der Community Nurses sein? Wann startet das Pilotprojekt?
BM Wolfgang Mückstein: Die Pflege eines geliebten Menschen stellt die Angehörigen häufig vor enorme Belastungen. Um hier niederschwellig, regional, wohnortnah und bedarfsorientiert Unterstützung anbieten zu können, werden wir bis zu 150 Pilotprojekte zu Community Nursing in Österreich etablieren. Kick-Off für das Pilotprojekt war im September. Aktuell sind Städte, Gemeinden und Sozialhilfeverbände, die schon ein konkretes Interesse an einer Projektumsetzung haben, dazu aufgerufen, eine unverbindliche Interessensbekundung abzugeben. In Kürze wird auch der Fördercall veröffentlicht. Community Nurses sind zentrale Ansprechpersonen für Betroffene. Sie übernehmen die Vernetzung zwischen Menschen und Leistungserbringer:innen sowie die Koordination diverser Leistungen, Therapien und sozialen Dienstleistungen. Darüber hinaus spielen sie eine zentrale Rolle im Präventionsbereich.
Neben pflegenden Angehörigen richtet sich das Angebot an ältere zu Hause lebende Menschen, die dadurch unbürokratisch professionelle Unterstützung erhalten. Mir ist es wichtig zu betonen, dass hier auch ein präventiver Fokus gesetzt wird. Community Nurses werden daher bereits vor einer etwaigen Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit aktiv. Konkret z.B. durch das Angebot präventiver Hausbesuche für die Personengruppe ab dem 75. Lebensjahr.
Lebenswelt Heim: Am 10. September fand im Sozialministerium nach einer längeren Corona bedingten Pause wieder eine NQZ-Verleihung statt. Was waren Ihre Eindrücke und welche Zukunftspläne gibt es für das NQZ?
BM Wolfgang Mückstein: Die vergangenen eineinhalb Jahre waren für uns alle nicht einfach. Besonders gefordert waren allerdings die Bewohner:innen und ebenso alle Führungskräfte und Mitarbeiter:innen in den Alten- und Pflegeheimen. Ihr Engagement, mit dem Sie sich den neuen, ungewohnten Herausforderungen gestellt haben, kann man nicht hoch genug bewerten. Die NQZ-Verleihung war für mich eine gute Gelegenheit, Danke zu sagen. Das Nationale Qualitätszertifikat für Alten- und Pflegeheime ist ein gemeinsamer Weg. Ziel ist, die Vision vom Leben wie daheim möglichst Realität werden zu lassen. Ich freue mich daher über das Interesse von Alten- und Pflegeheimen in ganz Österreich, ihre Anstrengungen für eine bestmögliche Betreuung in ihren Häusern auch prüfen und zertifizieren zu lassen. Aktuell verfügen österreichweit 60 Alten- und Pflegeheime über das Qualitätszertifikat. Um den künftigen Erfordernissen in den Alten- und Pflegeheimen zu entsprechen, wird das NQZ ständig weiterentwickelt.
Lebenswelt Heim: Seit nunmehr 15 Jahren ringen wir in Österreich um eine Pflegereform. Bisher ohne nennenswerte Ergebnisse bei immer dringender werdenden Problemen. Ihr Vorgänger hat erste wichtige Schritte gesetzt, Pflege sollte zum Thema werden und er hat einen breiten Beteiligungsprozess aufgesetzt. Auch ein Bericht der Taskforce Pflege liegt seit längerer Zeit vor. Dem soll nun ein strukturierter, zielgerichteter Prozess unter Einbindung der wichtigsten in diesem Thema verantwortlich tätigen Stakeholder folgen. Diese forderten Ende Juli in einem offenen Brief einen Pflegegipfel. Wird es diesen Pflegegipfel geben? Wann?
BM Wolfgang Mückstein: Es ist mir ein großes Anliegen mich mit den VerfasserInnen des Offenen Briefes auszutauschen. Denn unerlässlich für eine Reform des Pflegesystems ist es, mit jenen zu sprechen, die die Herausforderungen und Chancen am besten kennen, weil sie entweder Betroffene und Angehörige oder in einem Beruf im Pflegebereich tätig sind. Daher will ich mich mit den VerfasserInnen zusammensetzen, ich werde sie demnächst zu einem Runden Tisch einladen.
Lebenswelt Heim: Ende Juli war auf orf.at zu lesen: „Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) kündigt „erste Schritte“ zur schon lange geplanten, großen Pflegereform für den Herbst an“. Wann ist was konkret geplant?
BM Wolfgang Mückstein: Eine Reform des Pflegesystems ist eines unserer wichtigsten Vorhaben für die Zukunft. Erste Priorität dabei haben der Personalmangel in der Pflege und die Attraktivierung des Pflegeberufs. Aufbauend auf den Ergebnissen der Taskforce Pflege haben die Länder bereits begonnen, ihre Vorstellungen gemeinsam zu konkretisieren. Mit dem Community Nursing startet ein wichtiger Baustein der Pflegereform. Das ist ein erster Schritt und wir werden auch weiterhin einzelne, besonders wichtige Maßnahmen vorziehen, wenn das möglich ist.
Lebenswelt Heim: Was sind aus Ihrer Sicht die 3 wichtigsten Themenbereiche für die Pflegereform?
BM Wolfgang Mückstein: Zum einen müssen wir uns ansehen, wie wir Personal halten können. Zum anderen müssen wir auch bei der Ausbildung ansetzen, es braucht etwa eine Attraktivierung der Praktika. Daher, mein Vorschlag, analog zum Medizinstudium, bei dem Studierende im klinisch-praktischen Jahr eine finanzielle Entschädigung erhalten, sollten auch in der Pflegeausbildung Praktika bezahlt werden. Denn finanzielle Belastung soll nicht dazu führen, dass sich jemand, der sich für den Pflegeberuf interessiert, letztlich nicht für eine Ausbildung entscheidet. Jede:r in Österreich, die oder der den Pflegeberuf ergreifen möchte, soll das auch tun können.
Es ist ebenso wichtig, dass wir pflegenden Angehörigen die angemessene Wertschätzung für ihre wertvolle Arbeit entgegenbringen. Deshalb ist es auch notwendig, dass sie in Zukunft unbürokratische Unterstützung bekommen. Deshalb haben wir das wichtige und innovative Projekt des Community Nursing vorgezogen.
Lebenswelt Heim: Aus einer Studie der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Juni 2020 geht hervor, dass Österreich unterdurchschnittlich abschneidet, was die Anzahl der Mitarbeitenden in der Langzeitpflege je 100 Personen über 65 Jahre betrifft. Norwegen und Schweden liegen hier mit über 12 Mitarbeitenden voran. Der OECD Durchschnitt liegt bei 5, Österreich bei lediglich 4 Mitarbeitenden. Wollen wir nicht nur den unterdurchschnittlichen Status quo halten, sondern unser System nachhaltig verbessern, ergibt sich ein noch höherer Bedarf an zusätzlichen Pflegekräften.
Was ist Ihr Ziel? Und wie wollen Sie es erreichen?
BM Wolfgang Mückstein: Größere Reformvorhaben können nur mit allen Beteiligten gemeinsam erfolgreich verwirklicht werden. Darum gibt es derzeit bereits erste Gespräche zu einer Zielsteuerung Pflege unter Beteiligung von Bund, Ländern, Städten und Gemeinden. Damit können weitere zentrale Punkte angegangen werden, wie die Arbeitsbedingungen, der Personalschlüssel oder das Gehalt. All das kann aber der Bund nicht alleine umsetzen, sondern hier sind auch die Länder und die Arbeitgeber:innen gefragt. Um die Rahmenbedingungen der Pflege- und Betreuungspersonen nachhaltig verbessern zu können, ist es somit essentiell, dass wir alle zusammenarbeiten.
Lebenswelt Heim: Zahlreiche Umfragen belegen, dass das Gesundheits- und Betreuungspersonal weit über seine Grenzen hinaus belastet ist und viele Beschäftigte erwägen, aus dem Beruf auszusteigen. Das verschärft den Personalnotstand massiv, erhöht den Druck auf die Mitarbeitenden und gefährdet die Versorgung der Menschen mit Betreuungs- und Pflegeleistungen noch weiter. Mit welchen Sofortmaßnahmen wollen Sie Abhilfe schaffen, bis genügend Personal gut ausgebildet und einsatzbereit ist?
BM Wolfgang Mückstein: Die Frage, wie wir Personal im Pflegeberuf halten können, ist zentral für die Reform. Es braucht eine Attraktivierung des Pflegeberufs. Hier spielen – wie bereits erwähnt – angemessene Entlohnung und ein besseres Verhältnis von pflegenden Personen zu Pflegebedürftigen ebenso eine Rolle, wie eine Sicherstellung, dass der jährlich steigende Mehrbedarf an pflegenden Personen auch gedeckt ist. Dazu braucht es die Zusammenarbeit von allen Beteiligten, dem Bund, den Ländern und den Arbeitgeber:innen. Wenn wir alle an einem Strang ziehen, können wir effektive Maßnahmen erarbeiten und umsetzen und in Folge gemeinsam das Pflege- und Betreuungswesen in Österreich verbessern.
Lebenswelt Heim: Ich darf nochmals orf.at zitieren: „Klar ist für den Sozialminister, dass die Pflegereform „viel Geld kosten“ wird.“ Sind sich Grüne und ÖVP in diesem Punkt einig?
BM Wolfgang Mückstein: Bei der Weiterentwicklung des Pflegesystems, die wir uns vorgenommen haben, handelt es sich um einen umfassenden Prozess. Selbstverständlich verursacht das auch Kosten – im Pflegebereich Geld in die Hand zu nehmen, ist allerdings in unser aller Interesse. Wir wollen sicherstellen, dass jeder Mensch in Österreich in Würde und bestmöglicher Selbstbestimmheit altern kann. Dass wir jenen Personen, die diese herausfordernde und wichtige Aufgabe andere zu pflegen, übernehmen, dabei auch die besten Rahmenbedingungen bieten, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Wir investieren damit in unser aller Zukunft.
Lebenswelt Heim: Danke für das Interview.
Gabriele Tupy
imzusammenspiel kommunikationsmanagement
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