Artikelbild Depotmedikation: Genehmigung der besonderen Heilbehandlung erfasst nur die aktuelle Unterbringung

von Andrea Haberl

§ 36 Abs 3 UbG, LG Klagenfurt 10. 6. 2022, 2 R 106/22y

Die Genehmigung einer besonderen Heilbehandlung gem § 36 Abs 3 Satz 2 UbG kann maximal den Zeitraum der Unterbringung betreffen, weil das UbG den Schutz der Persönlichkeit des Kranken während der Dauer der Unterbringung bezweckt, nicht aber den Zeitraum danach (LG Ried im Innkreis 6. 12. 2012, 6 R 185/12s, iFamZ 2013/59; LGZ Wien 18. 6. 2015, 45 R 215/15y, EFSlg 146.606; LGZ Wien 27. 1. 2012, 43 R 41/12s, iFamZ 2013/68).

Die Verabreichung einer Depotmedikation gegen den Willen der Betroffenen ist außer bei einer Unterbringung nach dem UbG nicht möglich. Sollte im Fall einer neuerlichen Unterbringung der Betroffenen wiederum eine Depotmedikation indiziert sein, ist daher eine neuerliche Zustimmung durch das Erstgericht einzuholen.

Anmerkung
Anders als im UbG ist im ABGB, außer in einer Gefahr-in-Verzug-Situation, kein Raum für eine zustimmungslose Behandlung. Gefahr in Verzug bedeutet, dass das Unterbleiben der Behandlung aufgrund der mit der Einbindung der betroffenen Person ( § 252 ABGB), ihres Vertreters oder des Gerichts ( §§ 253 f ABGB) einhergehenden zeitlichen Verzögerung eine Gefahr für das Leben, die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung oder starke Schmerzen für die betroffene Person zur Folge hätte. Die Rechtfertigung für die Behandlung bei „Gefahr in Verzug“ ergibt sich aus der Rechts¬vermutung, dass die betroffene Person dieser Behandlung zustimmen würde, wenn sie dies könnte.
Das ABGB beschreibt drei Konstellationen von Gefahr in Verzug:

  • § 252 Abs 4 ABGB regelt die Situation „echter“ Gefahr in Verzug im engeren, medizinischen Sinn (zB die Gefahr, dass die betroffene Person verblutet). Es geht hier um eine absolute Notsituation. Ärztliches Handeln ist ohne Aufschub erforderlich. Aus diesem Grund ist es nicht mehr möglich, die nötige Aufklärung zu leisten oder die betroffene Person in ihrer Willens¬bildung zu unterstützen (vgl ErlRV 1461 BlgNR 25. GP 31).
  • Gem § 253 Abs 3 ABGB ist bei Vorliegen von Gefahr in Verzug die Vertreterzustimmung zur Behandlung nicht erforderlich. Es geht also nicht um absolute Notsituationen, jedoch um solche, in denen die Kontaktaufnahme, allfällige Bestellung, Aufklärung und Einbindung des Vertreters zeitlich nicht mehr machbar ist, bevor sich die erwähnten Gefahren verwirklichen. Konnten die Gefahrenmomente abgewendet werden und dauert die Behandlung noch weiter an, ist unverzüglich die Zustimmung des Vertreters zur weiteren Behandlung einzuholen bzw das Gericht zur Bestellung eines Vertreters oder zur Erweiterung seines Wirkungsbereichs anzurufen.
  • Bei der Gefahr-in-Verzug-Situation gem § 254 Abs 3 ABGB liegt bereits eine Behandlungszustimmung oder Seite 302 Behandlungsablehnung durch den gesetzlichen Vertreter vor. Zwischen der Äußerung des Vertreters und dem Willen der vertretenen Person besteht allerdings ein Dissens. In diesen Fällen ist das Pflegschafts¬gericht im Verfahren gem § 131 AußStrG zur Entscheidung anzurufen, um die Vertreterzustimmung zu genehmigen oder die unterbliebene Vertreterzustimmung zu ersetzen bzw einen anderen Vertreter zu bestellen. Würde die mit dem Gerichts¬verfahren einhergehende Verzögerung zur Verwirklichung der erwähnten Gefahren führen, darf die Behandlung ohne Genehmigung oder Ersetzung der Zustimmung durch das Gericht oder die Bestellung eines anderen Vertreters erfolgen.


Vor diesem Hintergrund gilt nach Beendigung der Unterbringung für eine im Verfahren gem § 36 Abs 3 Satz 2 UbG genehmigte Depotbehandlung:

Zunächst ist wichtig zu bedenken, dass die gerichtliche Genehmigung einer Heilbe-handlung im Rahmen einer Unterbringung nur bis zur Beendigung der Unterbringung wirksam ist. Im Zuge einer weiteren Behandlung ist die Entscheidungsfähigkeit ärztlicherseits neu zu beurteilen. Eine Behandlungsentscheidung im Rahmen der Unterbringung bedeutet nämlich nicht, dass die betroffene Person nach ihrer Entlassung bzw nach Beendigung der Unterbringung weiterhin entscheidungsunfähig ist. Ist sie entscheidungsfähig, entscheidet sie selbst, ob sie der Behandlung außerhalb der Unterbringung zustimmt oder diese ablehnt ( § 252 Abs 1 ABGB).

Ist die betroffene Person nicht entscheidungsfähig, ist sie darin zu unterstützen, Entscheidungsfähigkeit zu erlangen. Kann die Entscheidungsfähigkeit hergestellt werden, ist die Entscheidung der betroffenen Person ausreichend ( § 252 Abs 2 und 3 ABGB). Genehmigt der gesetzliche Vertreter die Depotbehandlung, die von der nicht entscheidungsfähigen vertretenen Person abgelehnt wird, müsste das Gericht über die Genehmigung oder Nichtgenehmigung der Vertreterzustimmung entscheiden. Letztendlich darf aber selbst nach gerichtlicher Genehmigung der Vertreterzustimmung die Behandlung nicht gegen den (körperlichen) Widerstand der betroffenen Person erfolgen. Das ABGB sieht ein Zuführen zur Behandlung bzw eine Zwangsbehandlung im engeren Sinn nicht vor. Die behandelnden Personen sind gefordert, die Patient*in durch Aufklärung für die Behandlung zu gewinnen.


Maga. Andrea Haberl
ist juristische Referentin beim Verein VertretungsNetz – Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung in Wien.


Lesen Sie weiter in der aktuellen iFamZ: www.lindeverlag.at/ifamz

 

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