Artikelbild Im Gespräch mit Sozialminister Johannes Rauch

von Gabriele Tupy


Sehr geehrter Herr Minister Rauch, Sie sind seit 8. März Minister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Wie geht es Ihnen mit Ihrem neuen und sehr großen Aufgabenbereich? Was freut Sie besonders?

Johannes Rauch: Ich habe das Amt des Gesundheits- und Sozialministers in einer schwierigen und dynamischen Phase übernommen: Österreich hat sich gerade von der 4. Corona-Welle erholt und die sozialen Folgen der vergangenen 2 Jahre Pandemie wurden erstmals deutlich spürbar. Zusätzlich hat sich zu diesem Zeitpunkt die Krise in der Ukraine zunehmend verschärft und wir haben auch in Österreich die ersten Auswirkungen davon gespürt. Mir war beim Amtsantritt klar, dass die kommenden Monate nicht einfach werden würden. Aber ich habe von meinem Vorgänger ein top aufgestelltes Ressort mit einem großartigen Team übernommen. In meinem Haus kommen viele wichtige Themenbereiche zusammen, die einerseits in den vergangenen zwei Jahren besonders gefordert waren aber andererseits auch zu kurz gekommen sind. Das war bzw. ist aber nicht nur eine Herausforderung, sondern eine Chance! Mich freut es daher jeden Tag aufs Neue für jene in unserer Gesellschaft etwas bewirken zu können, denen es nicht so gut geht und die in den vergangenen zwei Jahren Pandemie gesundheitlich und sozial besonders gefordert waren. Kurz gesagt: Ich bin gut im Amt des Gesundheits- und Sozialministers angekommen.  

War früher stets von einer 100-Tage-Frist die Rede, die einem neuen politischen Amtsinhaber zugestanden wurde um sich einzuarbeiten, präsentierten Sie nach 2 Monaten, am internationalen Tag der Pflege, die seit Jahren geforderte Pflegereform. Ein ganz herzliches Danke für diesen sehr raschen Start mit diesem so wichtigen Thema! Wie konnte das in dieser kurzen Zeit gelingen? Und was ist aus Ihrer Sicht besonders gut gelungen?

Johannes Rauch: Die zeitliche Komponente hat für mich weniger Bedeutung als die spürbaren Erfolge, welche wir seit meinem Amtsantritt verzeichnen können. Die Pflegereform ist hier nur ein Aspekt, wichtig zu erwähnen sind für mich noch die Reform des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes, das Tierschutzpaket und das Teuerungspaket. Was diese Erfolge verbindet sind einerseits die Menschen, die hinter diesen Maßnahmen stehen und andererseits meine Hartnäckigkeit, mit der ich an die Dinge herangehe. Ich bin in der glücklichen Situation, dass ich meiner Funktion als Gesundheits- und Sozialminister bedingungslos nachgehen kann. Ich bin seit über 30 Jahren in der Politik tätig und strebe nach der aktuellen Legislaturperiode keine Karriere als Politiker mehr an. Ich mache Politik für die Menschen in Österreich, und nicht für meine spätere Berufslaufbahn. Diese Einstellung macht gewisse Dinge etwas einfacher – und das hat sich im Falle der Pflegereform bezahlt gemacht.


Die rund 20 vorgestellten Maßnahmen der Pflegereform konzentrieren sich vor allem auf mehr Gehalt für die Menschen in der Pflege, auf eine zusätzliche Urlaubswoche ab dem 43. Lebensjahr, auf finanzielle Unterstützung von Menschen in Aus- und Weiterbildung in der Pflege – nicht jedoch auf die Arbeitsbedingungen in der Pflege. Was ist in diesem Bereich zu erwarten – in diesem ebenso dringend notwendigen zweiten großen Schritt der Pflegereform? Denn um die Attraktivität der Pflegeberufe zu steigern, muss der Blickwinkel ganz besonders noch auf verbesserte Arbeitsbedingungen gelegt werden. Die tägliche Arbeit in der Pflege muss Freude machen, weil man das umsetzen kann, wofür man in die Pflege gegangen ist und was man in der Ausbildung gelernt hat. Dafür braucht es vor allem mehr Zeit für die zu betreuenden Menschen.

Johannes Rauch: Die Pflegereform war ein erster und wichtiger Schritt. Die Pflege ist einer der Bereiche, welche durch die Corona-Pandemie besonders gefordert waren. Hier haben Pflegekräfte unter massiven Belastungen zu einer Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems beigetragen und dies gilt es zu würdigen. Zwei Jahre Pandemie haben den bestehenden Personalmangel in unserem Pflegesystem weiter verschärft. Dazu kommen die über 75.000 Fachkräfte, welche uns bis 2030 fehlen. Mir war es daher persönlich sehr wichtig hier rasch Verbesserungen und Entlastungen zu erwirken. Wir haben daher in intensiven Verhandlungen 20 Maßnahmen mit einem Volumen von rund einer Milliarde Euro zusammengestellt, welche spürbare Entlastungen für Pflegekräfte, Auszubildende und für pflegende Angehörige bringen. Dieses Paket ist zwar die größte Pflegereform der vergangenen Jahrzehnte, es ist aber auch klar, dass es damit nicht getan sein wird. Hier wird es noch weitere Maßnahmen brauchen, um die mit der Pflegereform gesetzten Effekte langfristig aufrechtzuerhalten.

Wie bereits erwähnt, fokussiert unsere Pflegereform neben Unterstützungsmaßnahmen für Pflegekräfte und für pflegende Angehörige vor allem die Pflegeausbildungen. Um Arbeitsbedingungen zu verbessern, muss das Pflegepersonal aktiv entlastet werden und das geht nur mit mehr Personal. Die Corona-Pandemie hat auf den starken Personalmangel wie ein Brennglas gewirkt. Uns war es daher besonders wichtig, einerseits den Pflegeberuf durch eine Erhöhung des Gehaltes attraktiver zu gestalten und andererseits die Pflegeausbildung finanziell zu attraktivieren. Dazu haben wir unterschiedliche Maßnahmen vorgesehen. Menschen wie Berufsumsteiger:innen, die in der Regel einen Bedarf an existenzsichernder finanzieller Unterstützung haben,  werden künftig von einem Pflegestipendium in der Höhe von monatlich € 1.400 profitieren. Aber auch Erstauszubildende erhalten in den meisten Fällen künftig € 600 monatlich bzw. zumindest für die Zeit der Pflichtpraktika. Mehr Auszubildende bedeutet letztlich mehr Personal. Genau dieses Personal brauchen wir auch, um Arbeitsbedingungen zu verbessern, um Dienstplanstabilität zu gewährleisten und um mehr Zeit für Patient:innen zu haben. Das ist genau der Punkt wo wir mit der Pflegereform ansetzen: Wir bilden mehr Pflegekräfte aus, aber wir unterstützen auch das bestehende Personal durch höhere Gehälter.


Beim Finanzausgleich geht es um sehr viel Geld, das der Bund den Ländern und Gemeinden auf fünf Jahre zur Verfügung stellt. Sie meinten, dies sei auch der Hebel, um Bedingungen wie etwa mehr Einheitlichkeit im System zu schaffen. 
Wie kann Ihnen eine Vereinheitlichung gelingen?

Johannes Rauch: Sie sprechen hier einen Punkt an, der oft vergessen wird. Die Pflege ist in ihrer Vielfalt weitestgehend in der Kompetenz der Bundesländer. Personalschlüssel zum Beispiel unterliegen landesgesetzlichen Vorschriften, der Bund hat hier nur wenige Möglichkeiten zur Einflussnahme. Das ist auch der Grund, weshalb die dahingehenden Regelungen sowohl quantitativ als auch qualitativ je nach Bundesland teilweise stark variieren. Was wir als Bund jedoch tun können, ist die Grundlage für eine österreichweit einheitliche Personalbedarfs¬bemessung zu schaffen. Deshalb haben wir eine Studie zur Machbarkeit zur Personalbedarfsbemessung beauftragt, um eine Entscheidungsgrundlage für weitere Schritte zu einer bundesweit einheitlichen Personalbedarfsbemessung für stationäre und teilstationäre Langzeitpflegeeinrichtungen zu erhalten. Wir erwarten bis Anfang kommenden Jahres erste Ergebnisse.
In einem weiteren Schritt braucht es einen intensiven Dialog mit den Bundesländern.  Dieser umfassende Dialog soll in einem strukturierten Arbeitsprozess stattfinden. Dies ist gerade aufgrund der innerstaatlichen Kompetenzverteilung die Pflege betreffend notwendig. Bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Pflegeberufen wie bei Fragen des Personalschlüssels oder des Gehalts sind neben den Ländern, auch die Arbeitgeber:innen gefragt. Wenn es um die großen Fragen bei zersplitterter Kompetenz geht, müssen wir alle an einen Strang ziehen, um nachhaltige Verbesserungen zu erzielen.


Wie sieht es mit therapeutischen Maßnahmen aus? Stichwort Ergo-, Physiotherapie … usw. Ist im zweiten Schritt der Pflegereform auch hier eine Verankerung im System vorgesehen und werden sie als fixer Bestandteil in der Altenpflege zu finden sein?


Johannes Rauch: Bei allen Maßnahmen ist natürlich immer zu hinterfragen: Wo ziehe ich die Grenze, wer hat Anspruch auf eine Förderung oder Unterstützung. Uns war es wichtig, vor allem die Mitarbeit in Gesundheits- und Krankenpflegeberufen besonders attraktiv zu gestalten. Denn wir verzeichnen in diesem Bereich – vor allem in den kommenden Jahren – einen erheblichen Fachkräftemangel.


Was ist Ihr großes Ziel für diesen zweiten Teil der Pflegereform? Und wie stellen Sie sich eine noch stärkere Einbindung der Stakeholder und ihres Know-hows vor?

Johannes Rauch: Die ersten Gesetzesnovellen zur Pflegereform waren bereits in Begutachtung. Wir werden in einem nächsten Schritt die Stellungnahmen aus der Begutachtung sichten und uns hierbei natürlich auch die genannten Kritikpunkte seriös anschauen. Im Rahmen dessen wird sich auch zeigen, wo wir eventuell noch nachschärfen und nochmals das Gespräch suchen müssen. Ein offener Punkt, der oft kritisiert wird, ist beispielsweise die 24-Stunden-Betreuung. Hierfür haben wir aber bereits 16 Millionen zur Valorisierung der Förderungen reserviert. Die Förderungen werden durch eine 15a-Vereinbarung zwischen Bund und den Ländern geregelt. Für die Adaptierung dieser 15a-Vereibarung werden wir daher zeitnah Gespräche mit den Bundesländern treten, um auch hier Verbesserungen vorzusehen.


Wenn Sie am Ende Ihrer Amtszeit als Minister ausscheiden, was soll sich in der Pflege in Österreich geändert haben?

Johannes Rauch: Wir können uns in Österreich auf ein Gesundheits- und Sozialsystem verlassen, welches im internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt ist. Die Pflege ist ein wesentlicher Teil dessen und muss dies in den kommenden Jahrzehnten auch bleiben. Die Bevölkerung nicht nur in Österreich, sondern in allen Ländern dieser Welt wird immer älter. Der Pflegebereich wird aufgrund dessen immer bedeutsamer. Mein Ziel ist es, dass jeder Mensch in Österreich in Würde alt werden kann. Dazu gehört auch, sich auf ein fittes Gesundheits- und Sozialsystem verlassen zu können. Mein Ziel ist es, hierfür einen wesentlichen Beitrag zu leisten.

Danke für das Interview!


Gabriele Tupy
imzusammenspiel kommunikationsmanagement
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