Artikelbild „Shiatsu – heilsame Berührung bis ins hohe Alter

von Alexandra Gelny

Nähe, Berührung und sozialer Kontakt haben in den letzten zwei Jahren eine „gefährliche“ Konnotation erhalten – mit negativen Folgen für Körper, Geist und Seele. Ältere Menschen sind davon ganz besonders betroffen.

Umso wichtiger ist es gerade jetzt, der Berührungsarmut auf vielfältige Weise entgegenzuwirken. Jeder Mensch braucht Berührung und soziale Nähe, um gesund zu bleiben. Ein Leben lang. Studien an Menschen aller Altersgruppen haben es mehrfach bestätigt: zugewandter Körperkontakt und achtsame Berührung stärken unser Immunsystem, unser Herz und unseren Kreislauf. Berührung wirkt gegen Angst, ist schmerzlindernd und beruhigt nachweislich in Stresssituationen. Wenn wir von einem anderen Menschen auf eine Weise berührt werden, die uns guttut und Sicherheit schenkt, schütten wir das Hormon Oxytocin aus. Es senkt Atemfrequenz und Blutdruck und bewirkt Entspannung im Körper. Oxytocin ist der mächtigste Gegenspieler der Stresshormone im Körper.

Die Wichtigkeit von Berührung für Gesundheit und Wohlbefinden wird im Shiatsu aufgegriffen und mit wirkungsvollen Behandlungstechniken verknüpft. So kann diese Form der Körperarbeit physisch und psychisch unterstützen und stärken. Gerade im Alter bietet Shiatsu eine besonders gute Möglichkeit, Berührungsdefiziten entgegenzuwirken und das Potenzial von Berührung für die Gesundheit zu nutzen.

Was ist Shiatsu?
Shiatsu ist eine aus Japan stammende ganzheitlichen Methode der Körperarbeit und Behandlung am Körper. In Europa existiert die Methode seit den 1980er Jahren. In Österreich ist Shiatsu seit 1999 als eigenständiger (gewerblicher) Beruf anerkannt, für den eine dreijährige Ausbildung absolviert werden muss. Der Kontext, in dem Shiatsu entstand, ist auch deshalb relevant, weil das fernöstlich traditionelle Grundverständnis von Gesundheit (und Krankheit) keine Trennung von Körper und Psyche kennt. Shiatsu hat daher einen durch und durch ganzheitlichen Zugang und bezieht die Psyche immer mit ein, auch wenn primär am Körper gearbeitet wird.

Übersetzt bedeutet „shi“ Finger und „atsu“ Druck – im Sinne aufmerksamer, achtsamer Berührung mit den Händen, Fingern, mitunter auch Knien und Ellbogen. Es werden verschiedenste Berührungstechniken eingesetzt – mal sanfter, mal mit mehr Druck, mal stimulierend oder auch beruhigend. Die Behandlung wird zwar über die Kleidung ausgeführt, wirkt aber weit in die Tiefe. „Sich durch und durch berührt zu fühlen“ ist eine Erfahrung, die Klient*innen bei Shiatsu-Behandlungen häufig machen. Einen wichtigen Anteil an den vielfältigen Behandlungstechniken haben außerdem mobilisierende Rotationen, entspannende Dehnungen und sanfte haltgebende Berührung.

Im Fokus steht dabei nie eine Krankheit oder ein Defizit. Es geht immer um die aktuellen Bedürfnisse der Person, die behandelt wird und darum, mit den gesunden Potenzialen zu arbeiten. Das Ziel von Shiatsu ist es, den Organismus dabei zu unterstützen, Ausgleich und Gleichgewicht zu erlangen und zu erhalten.

Für ältere Menschen ist Shiatsu besonders gut geeignet
Wenn Menschen älter werden, schränken sich Beweglichkeit, Geschwindigkeit, eventuell die Gedächtnisleistung ein. Probleme mit dem Bewegungsapparat betreffen die meisten Menschen ab einem gewissen Alter, Schmerzen sind im hohen Alter sehr häufig ein Thema, und natürlich auch Krankheiten, die einer medizinischen Behandlung bedürfen. Shiatsu eignet sich als Körperarbeit besonders gut für ältere Menschen, weil der Fokus immer auf der Ressource Gesundheit und Wohlbefinden liegt. Shiatsu hat sich daher auch bestens als Ergänzung zu medizinischen, physiotherapeutischen, ergotherapeutischen oder psychotherapeutische Maßnahmen bewährt.

Die Berührung beim Shiatsu beginnt schon vor der eigentlichen Behandlung: beim Zuhören davor. Während der Sitzung verlagert sich dieses Zu- und Hinhören auf die körperliche und emotionale Ebene. Das Gefühl, auf diese Art Aufmerksamkeit zu erhalten, genießen ältere KlientInnen ganz besonders. Shiatsu bedeuteet Kommunikation auf einer nonverbalen Ebene und kann daher auch gut bei Menschen mit Demenzerkrankungen eingesetzt werden.

Darüber hinaus  aktiviert Shiatsu die Selbstheilungskräfte, es steigert das körperliche Wohlbefinden, ein Gefühl der Zufriedenheit und Dankbarkeit stellt sich ein. Dadurch werden Beschwerden anders wahrgenommen und der Allgemeinzustand verbessert sich. Alterstypische Beschwerden wie Schlafprobleme, Gelenksbeschwerden, Rückenschmerzen, schwere Beine, reduzierte Körperwahrnehmung, Müdigkeit, Antriebslosigkeit oder Ängste können durch Shiatsu gut begleitet und positiv beeinflusst werden.

Was mich selbst, als Shiatsu-Praktikerin, immer wieder fasziniert, ist, wenn meine hochaltrigen Klient*innen nach einer Behandlung verwundert wahrnehmen, wie wohl sie sich in ihrem Körper fühlen können, um wieviel jünger und mobiler.

Was ist das Besondere bei Shiatsu für ältere Menschen?
Shiatsu wird traditionell auf dem Boden auf einer Matte ausgeübt. Für Menschen höheren Alters ist dies häufig schwer möglich, daher werden der Ort der Shiatsu-Behandlung und die Lagerung des*der Klienten*Klientin stets an die Möglichkeiten angepasst. Shiatsu kann in praktisch jeder Lage und Position ausgeführt werden: auf einer Massageliege ebenso wie im Pflegebett, im Rollstuhl oder auf einem normalen Stuhl sitzend.

Auch, was die optimale Dauer einer Behandlung betrifft, ist die Bandbreite hier bei älteren Menschen groß. Klassischerweise dauert eine Shiatsu-Behandlung eine knappe Stunde. Für manche hochaltrige Menschen, vor allem, wenn hier beispielsweise eine Demenz, Alzheimer oder Parkinson dazu kommt, ist es aber vielleicht schon nach zwanzig Minuten genug. Für eine*n anderen Klient*in ist es womöglich wichtig, sich wesentlich mehr Zeit zu nehmen. Geschulte Shiatsu-Praktiker*innen stellen sich darauf ein.

Um Shiatsu-Behandlungen besonders gut auf auf die Bedürfnisse von Menschen in hohem Alter anpassen zu können, kommt der Anamnese am Beginn einer ersten Behandlung häufig eine besonders Bedeutung zu. Es ist für den*die Shiatsu-Praktiker*in wichtig, über die Situation hinsichtlich Schmerzen, Osteoporose, Bewegungseinschränkungen, Verletzungen, Operationen, Prothesen, Varizen, Krankheiten, Blutdruck oder Medikamenteneinnahme informiert zu sein, da dies einen nicht unwesentlichen Einfluss auf die Auswahl der Berührungstechniken haben kann, die dann eingesetzt werden. Insofern kann es auch hilfreich sein, vorab in einen Austausch mit dem*der behandelnden Arzt*Ärztin, mit Pflegepersonen oder mit Angehörigen zu gehen, vor allem dann, wenn der*die Klient*in selbst dazu nicht verbal Auskunft geben kann.

Bei Dehnungen und Rotationen gehen wir im Shiatsu immer auf mögliche Bewegungseinschränkungen ein. Insgesamt ist der Körper im Alter oft nicht mehr so robust und häufig steifer – Bewegungs-Techniken werden im Shiatsu daher entsprechend angepasst, ausgewählt, langsam und mit viel Einfühlungsvermögen ausgeführt.

Wenn eine ältere Person wegen starker Schmerzen oder Einschränkungen nicht direkt am Körper behandelt oder mobilisiert werden kann oder möchte, tut eine Shiatsu-Behandlung der Hände oder Füße gut. Denn auch auf diese Weise kann der gesamte Körper erreicht werden.

Selbst im palliativmedizinischen Bereich kann Shiatsu daher sehr unterstützen. Die Berührungen können einem Menschen helfen, sich zu entspannen und ihn sehr wertvolle Momente des Wohlfühlens erleben lassen. Shiatsu ist ein Dialog durch Berührung und gerade in der Arbeit mit Menschen an ihrem Lebensende kommt dieser Essenz von Shiatsu sehr große Bedeutung zu.

Berührung ist nicht gleich Berührung...
Ältere Menschen, die in ihrem täglichen Alltag auf Hilfe angewiesen sind, erfahren zwar täglich Berührung durch Andere – häufig dient diese aber vor allem einer bestimmten Funktion, wie etwa der Körperhygiene, An- und Umziehen oder der Untersuchung. Auch wenn all dies mit viel Achtsamkeit und Behutsamkeit erfolgt, so ist es doch Berührung, die von medizinischen oder pflegerischen Notwendigkeiten geprägt ist, und erfüllt daher nicht unbedingt das Berührungsbedürfnis eines Menschen. Hier kann Shiatsu einen wichtigen Ausgleich schaffen. Denn im Shiatsu können sich die Menschen in ihrem ganzen Sein absichtslos berührt fühlen.

Umso empfehlenswerter wäre es, dass auch Pflegepersonen und Angehörige Shiatsu kennenlernen. Die Methode ist für Menschen jeden Alters passend und eignet sich auch wunderbar als Ausgleich in belastenden Situationen, als Prävention für die Folgen von Dauerstresss und Erschöpfung.

Großes Potenzial von Shiatsu in der Pflege
Das Potenzial von Shiatsu im Bereich der Betreuung und Pflege von älteren und hochaltrigen Menschen, sowie deren Pflegepersonal und Angehöriger ist bei Weitem nicht ausgeschöpft. In Österreich ist es bis dato für Shiatsu-Praktiker*innen nicht einfach, in Senioren- und Pflegeheimen mit regelmäßigen Shiatsu-Angebote Fuß zu fassen. Ich sehe hier sowohl Institutionen als auch uns Shiatsu-Praktiker*innen gefordert, beherzt aufeinander zuzugehen und Möglichkeiten einer Zusammenarbeit auszuloten.

Daher bin ich froh und dankbar über die Gelegenheit, mit diesem Artikel den Wert und das Potenzial von Shiatsu beleuchten zu können. Vielleicht ist es ein Samen, aus dem das eine oder andere Projekt wachsen kann.

Berührung auf Shiatsu-Art: einige praktische Tipps für den Alltag
Wer sich selbst im Alltag etwas Gutes tun möchte, kann dies mit folgenden Übungen – sie sind für jedes Alter geeignet.

1. Die Schultern, Arme bis zu den Fingern entspannt und locker hängen lassen. Nun die Handflächen reiben und dann wie beim Gesicht waschen über das Gesicht sanft streichen und den Kopf und Hals auch miteinbeziehen. Das regt den Meridianfluss an und ist somit ein kleiner Handgriff gegen Müdigkeit.

2. Einen Finger ergreifen und sanft das Fingergrundgelenk bewegen, danach bis zur Fingerspitze nach vor sanft reiben. Finger für Finger beider Hände arbeiten. Bringt Beruhigung aber Belebung in den Körper, da das ganze Meridiansystem erreicht wird.

3. Handflächen reiben und die Augen mit den Fingerspitzen leicht berühren. Beginnen Sie mit kleinen, sanften kreisenden Bewegungen den Augapfel zu massieren. Gegen Müde Augen.

4. Setzen Sie sich bequem auf einen Stuhl und rotieren Sie nacheinander ganz sanft Ihre Gelenke, ganz ohne Anstrengung, langsam, und nur soweit es die Mobilität des Gelenks zulässt. Nehmen Sie dabei innerlich eine Haltung ein, als würden Sie Ihre Gelenke freundlich wohlwollend „begrüßen“ und „danken“ Sie jedem Gelenk für die Bewegung, die es zulässt. Zuerst die Schultern, eine nach der anderen oder beide gleichzeitig, dann die Ellenbogen, die Handgelenke, öffnen und schließen Sie Ihre Hände auf die gleiche Weise und rotieren Sie schließlich Ihre Fußgelenke, einen Fuß nach dem anderen. Machen Sie immer wieder Pausen, spüren Sie nach und fühlen Sie wie Sie atmen. Vielleicht spüren Sie, wie auch Ihre Gelenke so ein wenig „durchatmen“ können.

Wer für sich oder einen Angehörigen einen Shiatsu-Praktiker oder eine Shiatsu-Praktikerin sucht, findet auf der Website des Österreichischen Dachverbandes qualifizierte Profis ganz in der Nähe: http://oeds.at/praktikerinnen-suche


 


Alexandra Gelny

Diplomierte Shiatsu-Praktikerin und Sprecherein des ÖDS (Österreichischer Dachverband für Shiatsu)

 

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