Artikelbild Dr. Karl Bitschnau

 von Gabriele Tupy

Am 15./16. Dezember passierte die Regierungsvorlage zum Sterbeverfügungsgesetz den Nationalrat und Bundesrat und wurde mehrheitlich angenommen. Das neue Gesetz tritt mit Jahresbeginn 2022 in Kraft.

Geregelt wird darin, unter welchen Voraussetzungen es künftig zulässig sein wird, einer Person beim Suizid Hilfe zu leisten. Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen bleibt weiterhin unangetastet. Notwendig wurde das Gesetz, weil der Verfassungsgerichtshof (VfGH) vor rund einem Jahr das bisherige ausnahmslose Verbot der Hilfe zur Selbsttötung für verfassungswidrig erklärt hat. Parallel zur Neuregelung soll die Palliativ- und Hospizversorgung ausgebaut werden.

Wir haben zu den beiden Themen das Gespräch mit Dr. Karl Bitschnau gesucht.
Dr. Karl Bitschnau ist Vizepräsident des Dachverbandes Hospiz Österreich, Leiter Hospiz Vorarlberg und Mitglied des EAPC Vorstandes (European Association for Palliatve Care – Europäische Vereinigung für Palliative Care). Die EAPC hat aktuell 59 Mitgliedsorganisationen aus 33 europäischen Ländern und Einzelmitglieder von 52 Ländern weltweit.

Lebenswelt Heim: Was ist Ihre Sichtweise auf die neue Sterbeverfügung, die ab Jänner 2022 gelten wird?
Karl Bitschnau: Der Umgang mit den Grenzfragen des Lebens ist immer ein heikler. Schließlich geht es um Leben und Tod. Dass Staatswesen und Religionen den Schutz des Lebens zu ihren höchsten Prioritäten zählen, hilft allen, die an der Grenze des Lebens drohen unter Druck zu geraten. Es fühlt sich gut an, in einer Gesellschaft zu leben, die sich Menschen gegenüber solidarisch zeigt, welche auf die Hilfe der Gesellschaft angewiesen sind.

Auch Freiheit und Autonomie sind hohe Werte, die unsere Gesellschaft schützen. Das Sterbeverfügungsgesetz, das ab 1.1.2022 gelten wird, trägt insbesondere dem Wert der Selbstbestimmung bis zuletzt Rechnung. Damit reagiert die Politik, im Nachklang zum Spruch des Verfassungsgerichtshofs, auf einen gesellschaftlichen Wertewandel. Auch aus Sicht der Hospizbewegung stellt die Selbstbestimmung einen sehr hohen Wert dar. Doch es gilt, diesen Wert mit anderen wichtigen Werten wie dem einer solidarischen Gesellschaft und dem Schutz des Lebens auszubalancieren. Die internationale Hospizbewegung engagiert sich seit über 50 Jahren für die Bedürfnisse von schwerstkranken, sterbenden und trauernden Menschen sowie für deren An- und Zugehörige. Die Antwort auf deren Bedürfnisse und Nöte, heißt: Leiden lindern, begleiten und eine bestmögliche Lebensqualität ermöglichen. Dabei wird der kranke und leidende Mensch immer auch in seinem sozialen Umfeld gesehen, das ihn stützt, für das er aber auch Verantwortung trägt. Kurz gesagt, geht es immer darum, ein gutes Leben bis zuletzt zu ermöglichen.

Das Sterbeverfügungsgesetz schafft die Möglichkeit, den Todeszeitpunkt selbst zu bestimmen.  Manche werden es als Erleichterung empfinden, einen Trumpf im Ärmel zu haben und dem Tod ein Schnippchen schlagen zu können. Das ist nachvollziehbar und verstehbar. Suizid bzw. der versuchte Suizid waren schon bisher nicht strafbar, wohl aber die Beihilfe zum Suizid. Das wird sich nun durch das neue Sterbeverfügungsgesetz ändern. Bei Einhaltung bestimmter Form- und Prozessvorgaben müssen Menschen, die andere Menschen beim Suizid assistieren, keine strafrechtlichen Konsequenzen mehr fürchten.

Der Spruch des Verfassungsgerichtshof ist zu respektieren. Der Gesetzgeber hat sich bemüht, möglichst allen Seiten gerecht zu werden. Dennoch kann der Gesetzesentwurf viele der Sorgen, die unter anderem auch der Verfassungsgerichtshof selbst ausgesprochen hat, nicht vom Tisch wischen. Eine der wesentlichen Sorgen ist, dass Menschen unter Druck geraten, einen Weg zu beschreiten, den sie eigentlich gar nicht gehen möchten. Eine andere Sorge ist, dass An- und Zugehörige, aber auch Mitarbeiter*innen im Sozial- und Gesundheitswesen in Entscheidungssituationen gestellt werden, die sie in einen persönlichen Wertekonflikt führen. In der Hospiz- und Palliativversorgung machen wir wiederkehrend die Erfahrung, wie kostbar das Leben werden kann, wenn Leid gelindert wird und wenn sich die Betroffenen in ihrem Umfeld wohl fühlen können. Das bedarf aber einer kompetenten Beratung über die Möglichkeiten der Hospiz- und Palliativversorgung und eines entsprechend gut ausgebauten Angebots.

Als Hospiz Österreich werden wir, wie wir das immer schon gemacht haben, für unsere Patient*innen da sein. Selbst wenn sich jemand entscheidet, den Weg des assistierten Suizids zu gehen, kann er immer mit unserem Respekt und jeder Unterstützung im Rahmen unserer Möglichkeiten rechnen. Wir werden jedoch nicht am assistierten Suizid mitwirken. Selbstverständlich werden wir aber für Beratungen zu den Angeboten der Hospiz- und Palliativversorgung zur Verfügung stehen und auch den Entscheidungsweg begleiten, soweit die Betroffenen dies wünschen und zulassen. Zudem muss jeder Träger von Hospiz- und Palliativeinrichtungen entscheiden, was im Rahmen der jeweiligen Einrichtungen stattfinden darf.

Lebenswelt Heim: Welche Auswirkungen wird das neue Sterbeverfügungsgesetz aus Ihrer Sicht auf die Alten- und Pflegeheime in Österreich haben? 
Karl Bitschnau: Eine Vorhersage für die Zukunft zu machen ist immer etwas riskant. Dennoch kann eine Vorhersage mit großer Sicherheit gemacht werden: wenn Mitarbeiter*innen in Alten- und Pflegeheimen bisher mit dem Wunsch nach einem beschleunigen Tod konfrontiert wurden, konnten sie sich auf die Gesetzeslage berufen, die das nicht erlaubte. Das Sterbeverfügungsgesetz fordert nun die Mitarbeiter*innen heraus, ihre eigenen Werte zu entdecken und mit den Werten der jeweiligen Träger aber auch mit den Werten der Kolleg*innen in Einklang zu bringen. Ich gehe davon aus, dass der Wunsch nach assistiertem Suizid viele kontroverse Diskussionen nach sich ziehen wird. Hier haben die Träger eine hohe Verantwortung, ihre Mitarbeiter*innen nicht im Regen stehen zu lassen und ihnen einen klaren Orientierungsrahmen zu geben, sie aber auch in schwierigen Situationen gut zu begleiten. Für die Bewohner*innen bedeutet das Sterbeverfügungsgesetz die Option, zum selbst bestimmten Zeitpunkt zu sterben.  Zu hoffen ist, dass dies für niemand zum Signal wird, aus Rücksicht auf Angehörige, Gesellschaft … freiwillig vorzeitig aus dem Leben zu scheiden. Das muss nicht immer dazu führen, dass jemand tatsächlich den Weg des assistierten Suizids geht. Aber es verstärkt das Gefühl, anderen zur Last zu fallen, und beeinträchtigt damit jedenfalls die Lebensqualität und die Lebensfreude.

Lebenswelt Heim: Haben Sie weitere Sorgen und Bedenken bezüglich des neuen Gesetzes? Falls ja, welche?
Karl Bitschnau: Der Gesetzesentwurf lässt hinsichtlich der konkreten Umsetzung des assistierten Suizid bewusst sehr viel offen. Das kann mitunter ein Vorteil sein, eröffnet aber auch den Raum für Missbrauch. Wenn wir als Gesellschaft schon diesen Weg gehen, dann sollte darin auch die Bereitschaft beinhaltet sein, genau hinzuschauen, was passiert, wie es passiert und die Bereitschaft, daraus zu lernen. Hier wünschen wir uns vom Gesetzgeber klarere Vorgaben, was die Dokumentation und den Schutz vor möglichem Missbrauch betrifft.

Lebenswelt Heim: Der assistierte Suizid wird uns als Gesellschaft sowie auch den Gesundheits- und Sozialbereich verändern. Wie und worauf werden wir besonders aufpassen müssen? 
Karl Bitschnau: Wir Menschen sind sehr anpassungsfähig und gewöhnen uns an vieles. Wenn die Option des assistierten Suizids zum Normalfall werden sollte, dann bedeutet das eine zusätzliche Belastung für Betroffene wie für Betreuende aber auch für An- und Zugehörige. Auch wenn es nicht die Absicht des Gesetzes ist, sind wir dann schnell wieder bei der menschenunwürdigen Debatte über lebensunwertes Leben. Das wäre schlimm.

Wir sollten daher genau hinschauen, was das Gesetz mit den kranken Menschen in unserem Land, den An- und Zugehörigen und mit den Mitarbeiter*innen in den Einrichtungen macht. Das sind wir diesen Menschen gegenüber schuldig. Dem Gesetzgeber wünsche ich den Mut, aus den Erfahrungen, die wir in Zukunft machen werden, zu lernen und die Rechtslage allenfalls anzupassen.

Neben vielen anderen Themen, die unsere Gesellschaft derzeit polarisieren, könnte sich auch der assistierte Suizid als eines dieser Themen erweisen.

Als Einrichtungen haben wir die Verantwortung, Betroffene vor Druck zu schützen. Jene, die sich für den Weg des assistierten Suizid entscheiden, dürfen wir nicht im Stich zu lassen, auch wenn wir am assistierten Suizid nicht mitwirken.

Lebenswelt Heim: Von den RegierungsvertreterInnen wurde gleichzeitig mit der Sterbeverfügung das Hospiz- und Palliativfondsgesetz erlassen, mit welchem die Hospiz- und Palliativversorgung ausgebaut wird. Dazu soll ein eigener Fonds errichtet werden. Schöpfen Länder und Gemeinden die vollen Mittel aus, stünden 2024 insgesamt 153 Mio. Euro zur Verfügung. Aktuell gibt es laut Regierungsinformationen seitens des Bundes sechs Mio. Euro pro Jahr, inklusive Land – und Gemeindemitteln also 18 Mio. Euro. Was bedeutet diese Aufstockung der Mittel für die Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich? 
Karl Bitschnau: Bevor sich jemand dazu entscheidet, durch Suizid aus dem Leben zu scheiden, sollte er/sie wenigstens die Optionen kennen, welche die Hospiz- und Palliativversorgung zu bieten hat. Wir haben in Österreich derzeit allerdings einen Fleckerlteppich an Angeboten. Alle Dienstleistungen der Hospiz- und Palliativversorgung sollen in ganz Österreich flächendeckend, gut zugänglich und leistbar vorgehalten werden. Da die Finanzierung der bestehenden Einrichtungen ebenfalls in den Hospiz- und Palliativfonds überführt werden sollen, ist ein großer Teil der genannten Summe gebunden und es wird wohl noch etwas dauern, bis ein Komplettausbau erfolgt ist.

Wichtig ist, an der Stelle zu sagen, dass wo immer in Österreich Sterbende betreut werden, diese angemessene Rahmenbedingungen vorfinden sollen. Das gilt auch insbesondere für die Pflegeheime. Deshalb ist die Finanzierung von Projekten wie Hospizkultur und Palliative Care im Pflegeheim (HPCPH) auch für die Zukunft ein wichtiges Anliegen. Außerdem muss die Unterstützung der Regelversorgung durch die mobilen Palliativteams verstärkt werden.


Lebenswelt Heim: Welche Botschaft wollen Sie dauerhaft schwerkranken oder unheilbar kranken Personen sowie ihren An- und Zugehörigen für die Zukunft mitgeben?
Karl Bitschnau: In zweieinhalb Jahrzehnten Arbeit für schwerkranke und sterbende Menschen habe ich immer wieder erlebt, wie kostbar den Menschen das Leben am Lebensende ist, wie ganz andere Dinge im Leben wichtig werden können – vorausgesetzt Leid kann gelindert werden und die Betroffenen können sich sicher und geborgen fühlen. Ja ich habe auch viel Leid und Elend gesehen. Dieses gilt es zu beseitigen oder wenigstens zu lindern.  Dann wird der Blick aufs Leben wieder ein neuer, dann kann neue Qualität ins Leben kommen. Die besten Lehrmeister sind die Sterbenden selbst.

Ich kämpfe gerne weiter für eine Gesellschaft, in der wir füreinander einstehen, auch wenn es schwierig wird. Eine Gesellschaft, in der wir einander auch durch dunkle Passagen begleiten und niemanden zurücklassen. „Du bist wichtig, weil du du bist!“ lautet eines der wichtigsten Zitate der Hospiz-Pionierin Cicely Saunders. Dem möchte ich hinzufügen: und du bist immer noch wichtig, wenn du auf unsere Sorge angewiesen bist. Du verlierst deine Würde NIE.

Lebenswelt Heim: Danke für das Gespräch!

www.eapcnet.eu
www.hospiz.at
www.caritas-pflege.at/vorarlberg



Gabriele Tupy
imzusammenspiel kommunikationsmanagement
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