von Gabriele Tupy
Am 19.3. 2021 wurde im Burgenland Franz Drescher einstimmig zum neuen ARGE-Obmann gewählt.
Lebenswelt Heim: Herr Drescher, darf ich Sie bitten, sich unseren LeserInnen kurz vorzustellen.
Franz Drescher: Ich bin Geschäftsführer der Franz Drescher Pflegeheime GmbH, Obmann der ARGE Burgenland und im Vorstand des Lebenswelt Heim Bundesverbandes. 1993 gründete mein Vater unser Stammhaus in Raiding – wir haben somit 30 Jahre reiche Erfahrung, im Februar 2021 wurde unser neues Haus in Neutal eröffnet. Außerdem bieten wir 32 Wohnungen im betreuten Wohnen plus an.
Konzept und Implementierung des betreuten Wohnens plus konnte ich gemeinsam mit Josef Berghofer entwickeln. Wir haben die Richtlinien des Landes Burgenland in ein für alle verbindliches Konzept gegossen und umgesetzt.
Lebenswelt Heim: Sie folgen Josef Berghofer als ARGE Obmann, der 2020 viel zu früh aus dem Leben geschieden ist. Was verband und verbindet sie mit ihm? Was soll nach ihm bleiben? Was wollen Sie sich für die Zukunft mitnehmen?
Franz Drescher: Mit Josef verbindet mich sehr viel. Als sein Nachfolger trete ich in sehr, sehr große Fußstapfen. Josef war sehr lange Obmann und hat die Pflegelandschaft im Burgenland in den letzten Jahrzehnten maßgeblich verändert. Er war es auch, der mich seinerzeit in den Vorstand berufen hat. Seit damals arbeiteten wir zusammen, ich war Kassier in der ARGE. 2008 haben wir erstmals ein gemeinsames Interview gegeben. Wir haben viel miteinander diskutiert und teilten meist die gleiche Meinung. Wir waren menschlich wie beruflich verbunden. Über ihn kam ich dann auch in den Lebenswelt Heim Bundesvorstand. Josef hat immer das Gemeinsame vor das Trennende gestellt, um die bestmöglichen Voraussetzungen für die Pflege der Zukunft zu schaffen. Er verstand es unterschiedliche Charaktere zusammenzubringen und Ausgleich zu schaffen – ob dies die BewohnerInnen betroffen hat, die MitarbeiterInnen und ebenso in der politischen Landschaft. Das will ich mir mitnehmen für meine Arbeit!
Wir haben auch viel über seine Nachfolge im Burgenland und über den Bundesvorstand geredet. Er hat seine Funktionen mit Leidenschaft und großem Einsatz ausgefüllt und wollte sich langsam aus der Rolle des Obmanns zurückziehen. Ich meinte, wir sollten warten bis nach der Pandemie und in einer ruhigeren Phase weiter reden. Dieses Gespräch konnten wir nicht mehr zu Ende führen.
Josef brachte sehr viel Gefühl ein, auch in den Vorstand. Transparenz war bei ihm groß geschrieben. Nicht der Einzelkämpfer, das Kollektiv, der Zusammenhalt zeichneten ihn als Mensch und Obmann aus. Auch das möchte ich so weiterführen.
Wir haben mit diesem Weg viel erreicht im Burgenland und haben noch viel zu erreichen. Zusammen, im Kollektiv, haben wir die Pflege auf einen hohen Standard gebracht, das geht nur gemeinsam, das hat uns Josef mitgegeben. Das Ziel: eine gute Pflegequalität und für MitarbeiterInnen ein Umfeld gestalten, damit sie Freude an ihrem Beruf haben und im Beruf bleiben.
Lebenswelt Heim: Und was macht Sie aus? Was wollen und können Sie Neues einbringen – weil jeder Mensch einzigartig ist?
Franz Drescher: Was macht mich aus? Ich bin sehr praxisbezogen und liebe vielfältige Herausforderungen. Im Burgenland sind die Regionen sehr unterschiedlich und damit auch die Bedürfnisse der Menschen. Im bäuerlichen Umfeld tendieren die Menschen verstärkt zur 24 Stunden Betreuung, die Pflegeheime in den unterschiedlichen Regionen sind sehr divers und Individualität zeichnet jedes einzelne Haus aus. Vor sieben Jahren habe ich bei uns die erste Demenzstation implementiert. Offenheit und Ehrlichkeit und eine gute Diskussionskultur sind mir wichtig, man muss bereit sein, sich auseinanderzusetzen, Missverständnisse ausräumen, sich zusammenzureden gehört dazu.
Ich bin sehr früh Heimleiter und Geschäftsführer geworden – mit 24 Jahren. Damals habe ich unser Haus in Raiding mit 38 Langzeitpflegeplätzen von meinem Vater übernommen, er hat ein Hotel und Restaurant in ein Pflegeheim umgebaut, da war ich 10 Jahre alt. Mich hat das sehr interessiert. 2009 absolvierte ich die EDE Heimleiterausbildung. Von meiner Grundausbildung her bin ich Informatikkaufmann, das hat mir in unseren Häusern schon viel geholfen um etwa die Pflegesoftware im Jahr 2007 zu implementieren. Josef war mein Mentor, von ihm habe ich sehr viel gelernt. Ich setze mich sehr für unsere MitarbeiterInnen ein. Auch wenn wir 104 MitarbeiterInnen haben, sind wir ein Familienbetrieb geblieben. Fühlen sich die MitarbeiterInnen wohl, spiegelt sich das in der Pflegequalität wider und sie bleiben im Unternehmen.
Lebenswelt Heim: Was ist Ihre Vision für die Altenpflege?
Franz Drescher: Im Burgenland sind in den nächsten Monaten, im nächsten Jahr Tagsatz Neu und der Personalschlüssel Schwerpunktthemen.
Insgesamt betrachtet ist die demografische Entwicklung eine große Herausforderung für uns – in ganz Österreich, nicht nur im Burgenland. Die schon lang anstehende Pflegereform muss endlich umgesetzt werden. Es geht jetzt darum, gemeinsam eine gute Zukunft und eine gute Pflegequalität für unsere alten Menschen zu schaffen und diese langfristig abzusichern. Und es geht um die MitarbeiterInnen in der Pflege, darum, dem Personalnotstand entgegenzuwirken und genügend Fachkräfte gut auszubilden.
Aktuell scheint es wenig Interessierte an der Ausbildung zu geben. Das Land forciert die Pflegeassistenzausbildung. Gemeinsam mit dem Bund und dem ams ist es wichtig, den 2. Bildungsweg zu unterstützen. Denn die Ausbildung muss man sich finanziell leisten können, der Lebensunterhalt muss gesichert sein, um die Ausbildung machen zu können. Es gibt hier sehr schöne Beispiele, wie es funktionieren kann. Solche Projekte soll man bundesweit ausrollen. Wenn wir heute einen Koch oder eine Pflegeassistenz für ein Heim ausschreiben, finden wir sie nicht oder sie wechseln zwischen den Häusern. Fachkräfte fehlen heute an allen Enden – ob Maurer, Elektriker, Pfleger. Fachkräfteausbildungen wurden Jahrzehnte lang schlecht geredet. Aber Akademiker verdienen heute nicht mehr, als gut ausgebildete Fachkräfte. Jetzt müssen dringend vernünftige Schritte eingeleitet werden für eine Attraktivierung des Pflegeberufes. Ohne 24 Stunden Betreuung wird es mittelfristig nicht gehen. Aber wollen wir das wirklich verantworten, dass wir unser Pflegesystem auf Personal aus ärmeren Ländern aufbauen und die Menschen aus den dortigen Systemen abziehen? Sie fehlen dort als Mütter, Kinder der eigenen älter werdenden Eltern und als Pflegekräfte. Außerdem kostet uns die 24 Stunden Betreuung auch Kaufkraft im eigenen Land. Wir sollten das Geld zurück in unsere Volkswirtschaft investieren. Jeder in unsere Pflegeheime investierte Euro kommt 3-fach zurück, wie uns Studien belegen. Wir haben viel zu tun in der Pflege in Österreich!
Lebenswelt Heim: 1,5 Jahre Pandemie. Was hat sich seit Corona in der Altenpflege und im Speziellen in der Altenpflege im Burgenland geändert?
Franz Drescher: Der Personalnotstand hat sich weiter verschärft und ist so sichtbar geworden, wie nie zuvor. Dass wir das System aufrecht erhalten konnten, ist nur dem grenzenlosen Einsatz unserer MitarbeiterInnen zu verdanken – obgleich es zu wenig Personal gibt. Das steht man eine Zeit lang durch, wenn man zusammenhält, aber nicht auf die Dauer. Die Lage entspannt sich im Augenblick, unsere MitarbeiterInnen brauchen eine Covid-Erholungsphase und unsere BewohnerInnen freuen sich auf die so beliebten Sommer- und Grillfeste. Jetzt ginge es auch darum, den MitarbeiterInnen ihren Urlaub zurückzugeben – aber ohne ausreichend Personal zu haben? Eimalprämien dürfen nicht die Antwort unseres Systems auf die herausragenden Leistungen unserer MitarbeiterInnen der letzten 1,5 Jahre sein!
Altenpflege ist ein wunderschöner Beruf, den Menschen gerne machen, das bieten wenige Berufe. Die Arbeitsbelastung muss jedoch so sein, dass ich mich nach der Arbeit noch mit Freunden treffen kann ohne fix und fertig zu sein, weil die Arbeitsanforderungen zu hoch sind, weil es an Personal fehlt.
Die Pandemie hat mir besonders gezeigt, wie gut der interne Zusammenhalt funktioniert hat. Man war füreinander da, hat füreinander Dienste gemacht, hat den Beruf gern und mit Liebe gemacht. Unsere MitarbeiterInnen sind über ihre Grenzen hinausgegangen und hinausgewachsen, Angehörige haben großartig mitgewirkt und auch unsere BewohnerInnen. Ausreißer gibt es immer, aber die konnten gut überwunden werden. Wichtig ist in Krisensituationen, keine überbordende Ansprüche zu haben und sich einschränken zu können. Gelernt habe ich aus Corona, dass wir uns auf unsere MitarbeiterInnen verlassen können. Kurzfristige Änderungen, die im Normalbetrieb undenkbar gewesen wären, waren anstrengend, man konnte sich nicht darauf vorbereiten und doch hat es funktioniert! Manche Entscheidungen waren gut, andere hätten besser ausfallen können. Unsere Notfallpläne dürfen wir auf keinen Fall wegschmeißen, wir sind weit besser gerüstet als je zuvor! Und wir sind bisher gut durch die Krise gekommen, unsere BewohnerInnen waren ziemlich sicher in unseren Heimen.
Lebenswelt Heim: Man sagt, Krisen seien immer auch Chancen. Welche Chancen sehen Sie für die Altenpflege nach Corona? Und im speziellen im Burgenland?
Franz Drescher: Die Pflege ist in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Diese Chance müssen wir nützen – für genügend Ausbildungsplätze, um interessante, attraktive Berufsbilder zu schaffen und mehr Pflegepersonal für die Zukunft zu gewinnen. All das muss jetzt in die Pflegereform einfließen.
Auch wenn es natürlich wichtig ist, Regionalität zu berücksichtigen – der Personalschlüssel hat nichts mit Regionalität zu tun und sollte bundesweit einheitlich sein. Ebenso gilt es gleiche Mindestanforderungen auszuarbeiten – für ganz Österreich.
In manchen Themen tut man gut daran, sich von der Regionalität zu verabschieden und sie bundesweit anzusiedeln. Andere Themen sind auf Länderebene besser aufgehoben.
Im Burgenland arbeiten wir derzeit an einem neuen Tagsatz für 2022. Das Land sieht die ARGE als Partner und bezieht uns ein. Wie weit wir involviert werden, ist noch offen, aber es soll ein gemeinsames Projekt werden. Diskutiert wird auch ein Mindestpersonalschlüssel und ein qualitätsbezogener Tagsatz, das steckt jedoch noch in den Kinderschuhen und ist ein größeres Thema.
Die Covid-Kosten-Ersätze für die Heime sind noch nicht gelöst. Wir hatten einen enormen Mehraufwand, der bis heute nicht ausbezahlt wurde. Wer ein Besuchsmanagement verlangt, muss das auch bezahlen. Wir hatten auch deutlich höhere Materialkosten aufgrund der Pandemie, die abgegolten werden müssen, wir mussten Kredite ja aufnehmen, die getilgt werden müssen und nicht durch Tagsätze abgegolten werden. Geschieht dies nicht, leidet die Pflegequalität. Im Burgenland werden aktuell die Kosten erhoben.
Lebenswelt Heim: Was ist aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entscheidungen, die es aktuell in der Altenpflege zu treffen gilt?
Franz Drescher: Die Pflegereform ehestmöglich umsetzen! Eine Attraktivierung des Berufes. Ein Personalschlüssel, der deutlich mehr Zeit für unsere BewohnerInnen ermöglicht. Die langfristige Finanzierung der Pflege. Betreutes Wohnen gezielt nach Bedarf anbieten und sicherstellen, dass es keine Überversorgung gibt - manchmal ist der geringe Pflegebedarf im betreuten Wohnen gezielter abgedeckt, als in einem Heim.
Wir brauchen einen konkreten Plan für die nächsten 5 bis 10 Jahre. Aus der ersten Ideensammlung als Ergebnis einer breiten Befragung des Sozialministeriums sind nun für eine Umsetzung konkrete, weiter ableitende Schritte zu erarbeiten.
Lebenswelt Heim: Wenn Sie einmal als ARGE Obmann ausscheiden, was soll sich in der Altenpflege im Burgenland geändert haben?
Franz Drescher: Manches soll sich nicht ändern. Unsere ARGE soll weiterhin mit diesem großartigen Zusammenhalt bestehen! Erfolgsprojekte sollen weitergeführt werden. Wir haben dann einen Tagsatz erreicht, mit dem die Pflegequalität gehoben und unsere MitarbeiterInnen entlastet werden konnten. Der Personalschlüssel hat sich zum Positiven entwickelt, sodass die nächste Generation darauf aufbauen kann und ein solides Fundament vorfindet.
Lebenswelt Heim: Danke für das Gespräch und viel Erfolg für die Zukunft!
Gabriele Tupy
imzusammenspiel kommunikationsmanagement
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