Artikelbild „Ausgangssperre“ im Heim mittels Aussendung und Security

von Michael Ganner

§ 3 HeimAufG, BG Floridsdorf 21. 5. 2020, 70 H a 1/20g

Die Antragstellerin beantragte eine Überprüfung nach dem HeimAufG und brachte dazu im Wesentlichen vor: Im Heim sei seit Mitte März 2020 iZm der Corona-Krise eine Ausgangssperre angeordnet.

Die Antragstellerin fühle sich ansonsten im Haus gut versorgt. Sie sei 87 Jahre alt, gesund und mobil. Sie fahre noch selbständig mit ihrem eigenen Pkw und sei voll geschäftsfähig. Sie erledige zB ihre Bankgeschäfte und Arztbesuche sowie Einkäufe selbständig. In ihrer Freizeit sei ihr bisher wichtig gewesen, Aktivitäten außerhalb ihrer Wohneinrichtung wahrzunehmen. So habe sie regelmäßig an zahlreichen Aktivitäten der Wiener Pensionistenclubs teilgenommen. Sie mache trotz ihres hohen Alters dank ihrer guten Gesundheit Spaziergänge, Ausflüge, Museumsbesuche und auch Treffen mit Familienangehörigen und Bekannten. Im Heim werde eine „Ausgangssperre“ durchgeführt. Den Bewohnern werde das Verlassen des Hauses verwehrt. Dazu gebe es einerseits regelmäßige Aussendungen an die Bewohner, andererseits werde die Ausgangssperre mittels Wachpersonen eines Security-Dienstes durch¬gesetzt. Alle Ausgänge bis auf den Haupteingang seien versperrt. Beim Haupteingang stehe ein Security-Dienst, der sich Bewohnern in den Weg stelle, sollten diese versuchen, das Haus zu verlassen. Verlasse eine Person dennoch die Einrichtung, werde sie bei Rückkehr in die Einrichtung im Apartment für 14 Tage unter Quarantäne gestellt bzw bis ein negatives Testergebnis auf COVID-19 vorliege. Diese Maßnahmen würden vom Security-Dienst ausgeführt, indem dieser die Bewohner in deren Zimmer geleitet sowie Meldung an die Hausleitung erstattet. Ein Verlassen des Apartments trotz ausgesprochener „Quarantäne“ hat wiederholtes Zurückbringen durch das Sicherheitspersonal zur Folge.

Die derzeitigen Bestimmungen zu Ausgangsbeschränkungen der österreichischen Bevölkerung verstehe die Antragstellerin gut und halte sie auch ein, sie wolle sich selbst und andere vor einer Ausbreitung des Coronavirus schützen. Sie habe auch entsprechende Schutzmaßnahmen getroffen, bereits ein Schutzvisier und eine Maske angeschafft und sei bereit, auf direkte soziale Kontakte zu verzichten.

Bei einem informellen Gespräch mehrerer Bewohner mit dem Einrichtungsleiter habe dieser in Aussicht gestellt, dass es möglich wäre, Heimverträge zu kündigen, sollten sich Bewohner nicht an im Haus zusätzlich angeordnete Einschränkungen halten. (…)
Dadurch, dass die Bewohner des Hauses und damit auch die Antragstellerin mit dem Informationsschreiben vom 26. 3. 2020 darüber informiert wurden, dass sie 14 Tage in Quarantäne in ihrer Wohnung verbringen müssen, wenn sie das Pensionisten-Wohnheim verlassen und danach wieder zurückkehren, wurde ihre Freiheit in Form einer psychologischen Beschränkung der Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Die Antragstellerin unterließ es ausschließlich deshalb, das Haus zu verlassen, weil sie die angekündigte Freiheitseinschränkung in Form einer 14-tägigen Zimmerquarantäne befürchtete. Allein dadurch wurde jedoch ihre Freiheit iSd § 3 Abs 1 HeimAufG eingeschränkt. Ihre Befürchtung hat sich zudem auch bewahrheitet, weil ein Bewohner, der das Heim verlassen hatte, nach seiner Rückkehr zumindest zwei Tage in Zimmerquarantäne verbringen musste.

Die Antragstellerin ist sowohl geistig als auch psychisch gesund, was der Heimleiter auch nicht bestritt und was die Antragstellerin selbst durch die einwandfreie Beantwortung der an sie gestellten Fragen im Rahmen der Anhörung vom 4. 5. 2020 belegen konnte. Somit fehlte es für die Zulässigkeit der freiheitsbeschränkenden Maßnahme schon an der in § 4 Z 1 HeimAufG normierten Voraussetzung, nämlich dem Vorliegen einer psychischen Erkrankung oder einer geistigen Behinderung. Die Beurteilung der Zulässigkeit der Freiheitsbeschränkung nach anderen gesetzlichen Bestimmungen als jenen des HeimAufG war hier nicht vorzunehmen. (…)

Anmerkung
Diese Entscheidung zeigt sehr schön, dass das HeimAufG und seine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit von Freiheitsbeschränkungen erhebliche Bedeutung über die typischen krankheits¬bedingten Fälle hinaus besitzt. Im gegenständlichen Fall hat das Heim gar nicht das Vorliegen der Voraussetzungen einer Freiheitsbeschränkung nach dem HeimAufG behauptet. Allen war von vornherein klar, dass die Antragstellerin bei klarem Verstand war. Dennoch war dies die einzige sinnvolle Möglichkeit der Überprüfung der angeordneten und mit mehr oder weniger Zwang auch durch¬gesetzten Freiheitsbeschränkungen. Eine gerichtliche Überprüfung nach dem EpiG iVm dem Tuberkulose¬gesetz war mangels entsprechender bescheidmäßiger Anordnung nicht möglich. Eine straf¬rechtliche Überprüfung – eine solche wäre möglich, sofern Personen durch Security-Mitarbeiter tatsächlich am Verlassen der Einrichtung gehindert worden sind, wobei wohl nur § 8 StGB (irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts) eine Verurteilung verhindern könnte – kann sich auch niemand wünschen.

Aus der iFamZ 2/2021


Ao. Univ.-Prof. Dr. Michael Ganner
www.lindeverlag.at/ifamz

 

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