von Helena Schmidt

Demografie des Alterns

Seit Mitte des 19. Jh. läuft eine einzigartige Entwicklung in der menschlichen Geschichte ab:

die Zunahme der Lebenserwartung um ca 2,3 Jahre/ Dekade. Sie beträgt derzeit 78J für Männer und 83J für Frauen in Österreich. Ein Anstieg von 30 Jahren innerhalb von nur etwa 100 Jahren. In Vergleich dazu, im Spätpaläolithikum betrug die Lebenserwartung ca. 25J und stieg erst um 1900  auf etwa 55J,  also 15.000 Jahren waren für den gleichen Anstieg notwendig. Etliche Prognosen gehen davon aus, dass die Lebenserwartung auch in der Zukunft weiter in dem gleichen Ausmaß steigen wird und 50% der heute Geborenen ihren 100. Geburtstag erleben werden.

Diese Entwicklung ist in erster Linie auf eine dramatischen Reduktion der Mortalität in allen Altersgruppen, bedingt durch bessere Hygiene, medizinische Versorgung und soziale Absicherung zurückzuführen. In den letzten Jahren hat vor allem die Altersgruppe der über 65 Jährigen von der Entwicklung profitiert, da die verbesserte medizinische Versorgung das Überleben mit chronischen Erkrankungen ermöglichte. Die Wahrscheinlichkeit eines 80-Jährigen 100 Jahre alt zu werden ist heute 20-fach höher als es noch vor 50 Jahren war. Dass die am stärksten wachsenden Bevölkerungsgruppe weltweit die der >100 Jährige ist, zeigt auch dieses Trend.

Das positive Bild wurde aber in den letzten Jahren getrübt. Trotz Erwartung ging nämlich die erhöhte Lebenserwartung nicht mit einer Verlängerung der gesunden Lebensspanne einher. Die Menschen verbringen sogar anteilsmäßig immer mehr  Lebensjahre mit Behinderung und Krankheiten. Während 1995 der Anteil noch bei 20% lag, liegt es derzeit bei 30-40%, in absoluten Zahlen bedeutet es eine Verdoppelung von 15 auf 30 Jahre.

Paradigmenwechseln in der Forschung
Jegliche weitere Erhöhung der Lebenserwartung scheint daher nur dann sinnvoll zu sein, wenn es auch zu eine Verlängerung der gesunden Lebensspanne führt. Dazu reichen die bisherige Maßnahmen nicht aus, da sie nicht in den Alterungsprozess eingreifen, sondern „nur“ die Mortalität reduzieren. Dieses Erkenntnis führte zu einen Paradigmenwechsel in der Forschung. Statt auf einzelne alters-assoziierte Krankheiten zu fokussieren, betrachten wir das Altern selbst als „Krankheit“ und als Target für präventive und therapeutische Ansätze. Können wir die Alterung verlangsamen, werden wir die Manifestation von vielen, wenn nicht sogar allen Alters-assoziierte Krankheiten bis zum hohen Alter ausschieben können. Das Ergebnis wäre ein langes und gesundes Leben.

Neben den markante Verbesserung der Gesundheit in der Bevölkerung, würde diese Strategiewechsel auch zu eine massive Einsparung im Gesundheits- und Sozialsystem führen. Laut Berechnungen aus den USA würde eine Verlangsamung des Alterns um 20% von etwa 7 Billionen $ in den nächsten 50 Jahren an sog. „Major Entitlement Spending“ einsparen. Gezielte präventive Programme um die Inzidenz von Krebs bzw. von kardiovaskulären Erkrankungen um 25% zu senken, hätten dagegen keinen Effekt zum Status quo. Die Erforschung des menschlichen Alterns stellt daher einen hoch effizienten Weg dar, um die Gesundheit der Bevölkerung zu erhöhen und gleichzeitig Kosten in Sozial und Gesundheitsbereich zu reduzieren.
Evolutionstheorie des Alterns

Warum hat die Evolution eine lange Lebenserwartung bei uns Menschen begünstigt? Die Antwort liegt wahrscheinlich in der Rolle der Großeltern bei der Erziehung der Kinder.  In menschlichen Gesellschaften ist „Wissen“ entscheidend für den Erfolg. Die Weitergabe von Wissen von einer Generation auf die Nächste hat wahrscheinlich nicht nur das Überleben des Einzelnen sondern von ganzen Familien und sogar Dörfer, Staaten, gesichert. Bei der Wissensweitergabe spielten Großeltern eine zentrale Rolle in dem sie den Kindern das Basiswissen und Verhaltensregeln der Gesellschaft weitergegeben haben. Wahrscheinlich hat sich das Schüler/Lehrer Verhalten von Enkelkinder/Großeltern in einer Art Ko-Evolution in unserer Spezies etabliert. Laut diese sog. „Educator“ Hypothese haben Kindern von Familien wo Großeltern langlebig waren, einen besseren Überlebenschance gehabt und dadurch konnten „Langlebigkeitsgene“ rasch in menschlichen Populationen sich verbreiten. Anders formuliert,  es gab während der menschlichen Evolution über 1000en von Generationen es eine Art „Generationenvertrag“, die nicht nur unseren Erfolg als Spezies gesichert hatte, sondern uns auch eine lange, weit über den reproduktiven Alter hinausgehende, Lebenserwartung geschenkt hat. Dass soziale Kontakte, das Gefühl „Gebraucht zu werden“ für uns so wichtig sind, ist wahrscheinlich eine Erbe aus dem Educator Status und hilft uns um das Longevity Program in hohem Alter noch aufrechtzuhalten.

Plasitzität des Alterns
Das hohe Maß der Plastizität des menschlichen Alterns ist erstaunlich und wurde in keiner anderen Spezies, nicht einmal unter künstlichen Laborbedingungen beobachtet. Es ist auch in krassem Widerspruch zu dem weit verbreiteten Glauben, dass es eine biologisch festgelegte maximale Lebenserwartung gibt. Der Mensch verfügt viel mehr über molekulare Mechanismen die ihn zur Langlebigkeit befähigt. Diese Mechanismen waren schon bei einfachen Organismen früh in der Evolution vorhanden, und ermöglichten das Überleben in Notsituationen. Durch das Vortäuschen von solchen Situation wie Hunger, körperliche Anstrengung, Hitze etc. können wir diese Mechanismen aktivieren. Diese Mechanismen sind im Stoff-/Energiewechsel, Reparatur, Zellzyklus involviert. Ihre Aktivierung bewirkt eine „Verjüngung“ des Organismus vor allem dadurch, dass zelluläre Schäden beseitigt werden. Obwohl solche Tricks wichtig sein können, um  Altern zu verlangsamen, sollte man nicht vergessen, dass das Wichtigste ist, solche Schaden, durch gesunde Lebensweise (kein Rauchen/ Alkohol, Sport, Sonnenschutz) auf ein Minimum zu halten.

Altern als multidimensionaler Prozess
Das menschliche Altern ist ein multidimensionaler Prozess. Seine Definition ist vielschichtig  und keineswegs einheitlich. Aus der demographischen Perspektive ist Altern durch die Erhöhung der Sterblichkeit und die Reduktion der Fertilität definiert. Aus epidemiologischer Sicht ist es ein multifaktorieller Prozess bedingt durch genetische, Lifestyle und Umwelt Faktoren bzw. ihre Interaktionen. Auf individueller Ebene ist Altern durch die Abnahme von Organfunktionen und die Erhöhung des Risikos für alters-assoziierte Erkrankungen gekennzeichnet. Zellulär ist es mit der Aktivität von bestimmten Stoffwechsel- und Signalwegen assoziiert, und geht mit einer Verkürzung der Chromosomenenden (Telomere) und Veränderungen des Methylierungsgrades an sog. CpG Inseln in unserem Genom einher. Bei Menschen kommen noch weitere, subjektive, soziale und wirtschaftliche Dimensionen dazu. Tiermodelle können zwar wichtige einzelne Aspekte des menschlichen Alterns beleuchten, ihre Ergebnisse sind aber wegen der Kurzlebigkeit und der abweichenden Alterungsmuster der Modellorganismen nur bedingt auf Menschen übertragbar. Das menschliche Altern in seiner Komplexität kann nur durch epidemiologische Studien in einem multidisziplinären Ansatz, wie es die Graz Study on Health & Aging ist, untersucht werden.


Graz Study on Health & Aging
Die Graz Study on Health & Aging wird in Zusammenarbeit von 17 Kliniken und vorklinischen Instituten der Medizinischen Universität Graz, der Karl-Franzens Universität, der FH Joanneum in enger Zusammenarbeit mit der Stadt Graz durchgeführt. Leiterin der Studie ist Frau Prof. Dr.med Dr.phil Helena Schmidt, Professorin für Genetische Epidemiologie und Suszeptibiltätsdiagnostik am Lehrstuhl für Molekularbiologie und Biochemie, Gottfried Schatz Center for Cellular Signaling, Metabolism and Aging, Medizinische Universität Graz. Dem wissenschaftlichen Beirat der Studie gehören "top" EpidemiologInnen und AltersforscherInnen  wie Prof.Albert Hofman, Leiter der Department of Epidemiology, Harvard Medical School, Prof. Sudha Seshadri, Leiterin der Glenn Biggs Institute for Alzheimer`s Neurodegenerative Diseases, Prof. Lenore Launer, Leiterin des Laboratory of Epidemiology & Population Sciences an NIA und Prof. Andre Uitterlinden Direktor von the Netherlands Consortium of Healthy Aging an. Die Graz Study on Health & Aging ist bestens in der internationalen Forschungslandschaft verankert, und wird von der EU, der Österreichischen National Bank und der Stadt Graz gefördert.

Das Hauptziel der Graz Study on Health & Aging ist es, die Kernprozesse des Alterns zu entschlüsseln, und dadurch sog. „high impact targets“ zur Vorbeugung und Bekämpfung vieler, wenn nicht sogar der meisten altersassoziierten Erkrankungen zu identifizieren. Ziel ist es, eine repräsentative Stichprobe von bis zu 3000 Grazerinnen und Grazern ab 45 Jahren mittels Fragebögen, klinischen Untersuchungen, bzw. Imaging Technologien wie MRI und Ultraschall auf altersbedingte Veränderungen des Gehirns, der Augen, der Haut, des Hals-Nasen-Ohr- und Herzkreislaufsystems und des Bewegungsapparates zu untersuchen. Die Ergebnisse werden in Relation zu ebenfalls erfassten genetischen, Umwelt- und Lifestylefaktoren gesetzt. In die Pilotphase der Studie wurden 100 Grazer und Grazerinnen eingeschlossen. Ihre klinische Datenbank umfasst >5000 Einzelvariablen, Imaging Daten vom Gehirn, Auge und Haut. Es wurde eine Biobank mit DNA, RNA, Serum/Plasma, Urin, Stuhl und Hautabstrich Proben angelegt. Die genetische Datenbank umfasst Whole Genome Sequenzierungen, Telomere Längen Bestimmungen, und genomweite DNA Methylierungsanalysen. Aktuelle Kooperationsstudien in Bezug auf Gehirnalterung und genomische/ epigenomische Varianten laufen im Rahmen von der EU Joint Programming for Neurodegenerative Diseases (JPND) geförderten BRIDGET Konsortiums.

Insbesondere werden im Rahmen der Studie „Graz“-spezifische und kommunal beeinflussbare Prädiktoren des Alterns wie Wohnumgebung, Mobilität oder Versorgung untersucht. Einzigartig ist die Verknüpfung von kommunalen Daten (digitale Daten der Stadt Graz) mit Gesundheitsdaten. Das objektivierbare Angebot an z.B. Ärzten, Apotheken, Einkaufsmöglichkeiten oder Grünflächen in der Wohnumgebung kann auf die klinisch messbare Gesundheit und das Altern der Bevölkerung bezogen werden. Weiters werden Informationen durch direkte Befragung der StudienteilnehmerInnen zur Wohnumgebung, Mobilität oder das Konsumverhalten wie Bevorzugung regionaler Produkte erfasst, die Informationen zum subjektiven Empfinden der Bevölkerung in Bezug auf kommunale Angebote liefern. Durch diesen innovativen Ansatz werden wir in der Lage sein, wissenschaftlich fundierte Daten zur Auswirkung objektivierbarer und subjektiv empfundener kommunaler Faktoren auf die Gesundheit der Grazer Bevölkerung zu liefern. Die Studie gliedert sich damit hervorragend in die vom Wissenschaftsrat Steiermark empfohlenen Forschungsschwerpunkte „Healthy Aging“ und „Smart Cities“ ein.

Univ.-Prof.in DDr.in Helena Schmidt
Professorin für Genetische Epidemiologie & Suszeptibilitätsdiagnostik
Leiterin der Forschungseinheit „Genetische Epidemiologie“
Institut für Molekularbiologie und Biochemie
Medizinische Universität Graz
Tel.: +43 316 380 4190
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