Artikelbild Führen, motivieren und gestalten

von Alexander Seidl & Annelies Fitzgerald

Warum ist der Unterschied zwischen Theorie und Praxis in der Praxis immer größer als in der Theorie?

Derzeit sind die Herausforderungen für Teams, nicht nur in der Pflege, enorm und Motivation und Zusammenarbeit sind bis ans Limit gefordert.

Zusätzlich zu den massiven Veränderungen, die durch die aktuelle Pandemie verursacht werden, hat diese Krise die entscheidende Bedeutung der gut funktionierenden Zusammenarbeit, der Teamkultur und Motivation des Einzelnen noch stärker in den Vordergrund gerückt.

Wie oft allerdings haben Sie schon jemanden genau über die dringende Notwendigkeit sprechen hören, die Teamkultur zu ändern, die Zusammenarbeit zu verbessern und die Motivation im Team zu erhöhen?
Diese Überlegungen und Vorhaben sind meist ebenso erfolgreich wie Beschwerden über das Wetter - und ungefähr genauso effektiv. Wie oft haben Sie gesehen, dass hochgesinnte Bestrebungen, die Kultur zu verändern, es tatsächlich schaffen, das Verhalten der Menschen und ihre Arbeitsweise zu ändern? Und wie oft haben Sie spürbare langfristige Verbesserungen gesehen?

Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die informelle emotionale Ansätze zur Beeinflussung des Verhaltens verwenden, mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit dauerhafte Veränderungen erfahren als solche, die das nicht machen1.

Obwohl es keine Zauberformel gibt, die Ergebnisse garantiert, haben wir in über 25 Jahren Begleitung von Teams und Organisationen bei Dutzenden von Trägern einige hilfreiche Erkenntnisse gewonnen.


In den folgenden Überlegungen wollen wir Ihnen eine „Brille“ vorstellen, durch die wir in der Analysephase bei herausfordernden Teamdynamiken gerne schauen und die auch Ihnen helfen kann, die Dynamiken in Ihrem Team schneller zu analysieren und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Um ehrlich zu sein handelt es sich bei dieser „Brille“ um zwei Modelle (wir hoffen, dass es dadurch nicht zu kompliziert wird), bereichert durch unsere Beobachtungen, die in ihrer Gemeinsamkeit ziemlich hilfreich sind.

Das erste Modell: Die „Graves-Levels“2:

Der Psychologe Clare W. Graves veröffentlichte bereits um 1970 seine Beobachtung, dass die menschliche Entwicklung – und die Entwicklung von Teams - verschieden Stadien durchläuft. In jedem Stadium (auf jedem dieser Entwicklungs-Levels) sind andere Werte und dadurch auch anderes Verhalten im Vordergrund. Ebenfalls hat er erkannt, dass keine dieser Levels übersprungen werden kann. Jeder Mensch (und auch jedes Team) muss durch jede dieser Stufen durch. Das kann manchmal ziemlich turbulent werden. Die Frage dabei ist, wie weit – also bis zu welchen Level - die Entwicklung geht bzw. auf welchem Level ein Mensch oder ein Team „stecken bleibt“.

Das Entwicklungsmodell von Graves wurde von Don Beck und Chris Cowan weiterentwickelt3 und die Levels wurden mit Farben statt mit Zahlen versehen, da diese Stufen keine Wertigkeit (besser oder schlechter) darstellen, sondern einen Entwicklungsprozess.

Vielleicht fällt Ihnen beim Lesen auf, dass bei den Levels mit ungeraden Zahlen (1,3,5,7) immer das „Ich“ im Vordergrund steht („Ego-bezogen“), während bei den Levels mit geraden Zahlen (2,4,6,8) das „Wir“ wichtiger ist.



Das zweite Modell: Die 6 Grundmotivatoren von Anthony Robbins4:

Sie glauben, dass Sie komplett individuell sind und sich von anderen Menschen grundlegend unterscheiden? Dass Ihre innersten Bedürfnisse ganz geheim sind?
Das glauben Sie nur.
Wir Menschen unterscheiden uns in dem, was wir nach außen zeigen, von der Frisur bis zum Lebensstil, doch in unserem Innersten ähneln wir uns mehr, als wir es wahrhaben wollen.
Der Motivationsforscher Anthony Robbins hat beobachtet, dass alle Menschen letztlich nach nur 6 Dingen streben. Er nannte sie die „6 human core-needs“, auf Deutsch als Grundwerte oder Grundmotivatoren bezeichnet – die Dinge, die uns motivieren, dass wir etwas tun oder nicht tun.

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1https://www.humansynergistics.com/blog/culture-university/details/culture-university/2016/03/24/10-guiding-principles-of-organizational-culture), abgerufen am 23.11.2020
2Levels of Existence: An Open System Theory of Values. In: Journal of Humanistic Psychology, November 1970
3Don Edward Beck, Teddy Hebo Larsen, Sergey Solonin, Rica Viljoen, Thomas Q. Johns: Spiral Dynamics: Mastering Values, Leadership, and Change; Wiley, 2018 (dt.: Spiral Dynamics in der Praxis: Der Mastercode der Menschheit; J. Kamphausen Verlag 2019) (Spiral Dynamics ist ein eingetragenes Warenzeichen im National Values Center, Inc)
4The Driving Force: The Six Human Needs (Anthony Robbins' Personal Power II, The Driving Force, Volume 12; Robbins Research International, Inc., 1996

 

Für einen schnellen Überblick dürfen wir Ihnen diese 6 Grundmotivatoren vorab vorstellen – auch hier gibt es keine Reihenfolge oder Wertigkeit. Interessant ist noch anzumerken, dass sich Menschen in einem System (also z.B. dem Arbeitsplatz, aber auch einer privaten Beziehung), zumindest 3 dieser 6 erfüllen wollen, um im System zu bleiben. Sind weniger erfüllt, gehen sie aus dem System raus. Dies kann physisch geschehen (Kündigung, Versetzung; Privat: Trennung) oder psychisch (innere Kündigung oder mentale Trennung). Erfüllt ein System 4 oder mehr dieser 6 Werte, fühlt man sich zu diesem System hingezogen. Als Führungskraft sollten Sie daher immer darauf achten, einen Rahmen zu schaffen, dass zumindest 4 dieser Motivatoren von Ihren MitarbeiterInnen als erfüllt empfunden werden:

Sicherheit: Hierzu zählen neben einer existenziellen Sicherheit im Sinne von Maslow´s Bedürfnispyramide auch Absehbarkeit, Klarheit, Wissen was die Zukunft bringt, Vertrauen können, Verlässlichkeit – das können Sie als Führungskraft bspw. durch transparente Kommunikation, klare, für alle gleichermaßen geltende Regeln und nachvollziehbare Ziele fördern.

Zugehörigkeit: Teil einer Gemeinschaft sein; seinen Platz in der Gruppe haben; miteingebunden werden.

Bedeutung: Wertschätzung; Lob; Anerkennung; erkennen, dass der eigene Beitrag gesehen wird und wertvoll ist.

Abwechslung: „Raus aus der Routine“; Neues probieren; Bewegung im Leben; wechselnde Aufgaben; Eigenständig Lösungen finden; auch Pausen und den „Klatsch & Tratsch auf den neuesten Stand bringen“ erfüllt diesen Wert. Achtung: Abwechslung wird nicht geschätzt, wenn sie die Sicherheit gefährdet.

Wachstum: Lernen; neue Aufgaben übernehmen; persönliche Weiterentwicklung. Achtung: Wachstum kann mit Zugehörigkeit konfligieren. So manche (private oder auch berufliche) Beziehungen sind in die Brüche gegangen, weil sich zwei Menschen in unterschiedliche Richtungen entwickelt haben. Ein Tipp fürs private Leben: Wenn Sie ein Seminar zur Persönlichkeitsentwicklung machen – nehmen Sie Ihre/n PartnerIn mit.

Beitrag leisten: Anderen helfen ohne dafür etwas zu bekommen; der Gesellschaft etwas zurück geben; einen tieferen Sinn im eigenen Tun sehen; etwas in eine gute Richtung (für andere) bewegen können.


Unsere Beobachtung:

Jeder Mensch scheint zwar nach all diesen Grundmotivatoren zu streben und die Beobachtung, dass zumindest drei, besser vier, erfüllt sein müssen, damit jemand zufrieden in einem Team ist, haben wir schon oft gemacht. Jedoch scheint jedem Menschen ein anderer dieser Grundmotivatoren besonders wichtig zu sein.  
Die Frage, die wir uns gestellt haben, war: Welcher? Und wie kann ich das als Führungskraft schnell erkennen, um die passenden Maßnahmen zu ergreifen?


 
Grafik 1 – Integratives Entwicklungsmodell © Seidl 2020

Die Zusammenführung der beiden Modelle:

Eine Antwort auf diese Frage hat uns die Erkenntnis gebracht, dass auf (fast) jedem Graves-Level ein anderer der Grundmotivatoren im Vordergrund steht. Die Graves-Levels sind in Teams und auch bei jedem einzelnen Mitarbeiter relativ leicht zu erkennen. Das gibt Ihnen als Führungskraft einen guten Hinweis, auf welchen Motivator Sie besonders achtsam sein müssen, um Widerstand vorzubeugen.

Im Folgenden der Überblick über die Entwicklungsstufen nach Graves mit den jeweiligen Grundmotivatoren und Praxistipps für Sie als Führungskraft:

Graves-Level 1 – Beige: „Mein Überleben ist am wichtigsten“

Stellen Sie sich den urzeitlichen Jäger vor, der alleine durch die Wälder streift, nur mit der Frage beschäftigt, wo er die Nahrung für heute herbekommt, wie er sich im Moment gegen den Säbelzahntiger verteidigt. Dann haben Sie ein gutes Bild von „beige“.

Auf dieser Ebene geht es ums Überleben, von einem Tag auf den anderen. Es werden keine Pläne gemacht, die Stufe beige ist reaktiv – es wird im Moment auf Bedürfnisse oder Probleme reagiert. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse, wie Nahrung, Sicherheit oder Fortpflanzung bilden die treibende Kraft.

Diese Bewusstseinsebene kommt bei Neugeborenen, in extremen Kriegs- oder Notsituationen oder bei verwirrten Obdachlosen vor.

In Teams spielt diese Ebene (hoffentlich) keine Rolle.

Entwicklung: Babys im Alter von etwa 0-18 Monaten

Grundmotivator nach Robbins: Kein spezifischer



Graves-Level 2 – Purpur: „Die Gruppe ist am wichtigsten“

Nachdem der „Beige“ erkannt hat, dass sich manche Probleme gemeinsam besser lösen lassen, findet er sich mit anderen zusammen. Kulturell bilden sich erste Stämme, Magisches Denken ist vorherrschend, Rituale zur Stärkung des „Stammesbewusstseins“ entwickeln sich. Diese Bewusstseinsebene kommt bei Eingeborenenstämmen, Clans oder Sportmannschaften vor.

Allerdings auch in patriarchischen Familienunternehmen oder in Pflegeteams, die zu „ihrer Stationsmama“ aufblicken, welche sie vor allen bösen Dingen in der „Welt da draußen“ bewahrt. Purpurne Teams haben ein starkes Inseldenken, lassen niemanden reinschauen, haben ihre „Rituale“ (Abläufe). Die Schwierigkeit ist umgekehrt, dass es zur Abgrenzung von einem „wir“ irgendwelche (am besten böse) „anderen“ geben muss. Das ist meistens „die Organisation“ bzw. „das Management“. Purpurne Teams sind für eine Organisation eine große Herausforderung, da sie sehr eingeschworen sind, gerne „ihre eigene Suppe kochen“ und nur sehr bedingt Organisationsrichtlinien umsetzen.

Entwicklung: Kinder im Alter von 1-4 Jahren – sie haben ein ausgeprägtes purpurnes Denken (Magische Welt von Walt Disney, Feen und Monster und meine Mama ist die beste auf der ganzen Welt und mein Papa weiß alles. Oder umgekehrt).

Grundmotivator nach Robbins: Zugehörigkeit

Wenn Sie erkennen, dass Sie ein purpurnes Team leiten und sie „der Stammeshäuptling“ sind (was ist eigentlich die weibliche Form von „Stammeshäuptling“?) – machen Sie das, was Eltern bei Kindern in dieser Entwicklungsphase tun: Ermutigen Sie Ihre MitarbeiterInnen, eigene Wege zu gehen, eigene Meinungen zu bilden und über die Stationsgrenzen hinauszuschauen („Geben Sie Ihnen Flügel…“), aber seien Sie dabei behutsam, zeigen Sie, dass Sie da sind und dass das Team ein sicherer Hafen ist („…aber geben Sie auch Wurzeln“). Und haben Sie dabei den Mut, ein Stück weit loszulassen. Sie werden herausfinden, dass es Ihrer Reputation nicht nur nicht schadet, sondern sie hebt – „ein guter Meister ist, wer gute Meister macht“.



Graves-Level 3 – Rot: „Ich bin am wichtigsten“

Wenn wir die stammesgeschichtliche Geschichte weiterverfolgen kommt der Moment, wo ein Mitglied des Stammes (vielleicht ein Nachfahre von unserem „beigen“ Freund von Level 1) nicht mehr nur „ein Teil des Stammes“ sein möchte.

Der Mensch nimmt sich als eigenständig war und sondert sich vom Stamm ab. Es geht um Macht, Kraft und Ruhm. „Rot“ baut egobezogene Imperien auf, nimmt sich, was es braucht. Es besteht keine Reue oder Bedauern. „Für mich gelten keine Regeln, ich mach meine eigenen Regeln“. Der Stärkere soll sich durchsetzen, Schwäche wird erkannt und sofort für den eigenen Vorteil genutzt. „Rot“ finden Sie auf der Autobahn von hinten kommen, blinkend, drängelnd und wenn Sie sich nicht sofort in Luft auflösen, werden Sie auch rechts überholt.

Einen hohen Rotanteil finden Sie manchmal bei Ärzten (eher männlichen – aber nicht nur 😉), denen der eigene Erfolg, die eigenen Operationszahlen, die für sie optimale Zeiteinteilung (Ordination), am Wichtigsten sind. Auch auf Kosten von anderen Teammitgliedern. Sie setzen sich über Regeln hinweg und wollen allen beweisen, dass sie die Besten sind. Gleiches gilt für Pflegepersonen, die Ihnen, die Sie Führungskraft sind, beweisen wollen, dass Ihre Ideen nicht funktionieren. Dabei geht es immer um Macht – wer ist der Stärkere? -  das beherrschende Thema bei „rot“.
Ebenfalls gibt es viele Machtpolitiker, die mit ausgefahrenen Ellenbogen über Leichen gehen und sich über alle Regeln hinwegsetzen, um der ganzen Welt zu beweisen, dass sie die Stärksten und Besten sind (wie zum Beispiel die letzten vier Jahre in den USA).

Entwicklung: Kinder im Alter von 3-6 Jahren haben eine hohen Rot-Anteil - die „Wutphase“: Wenn ich meinen Willen nicht durchsetze, schreie und revoltiere ich, bis ich bekomme, was ich möchte (auch das haben wir in den letzten vier Jahren in den USA erlebt…)

Grundmotivator nach Robbins: Bedeutung

Wenn Sie als Führung in Ihrem Team Menschen mit hohem Rot-Anteil haben, erkennen Sie sie daran, dass sie sich, unabhängig von ihren persönlichen Kompetenzen, in den Vordergrund stellen. Sie wollen wichtig sein und gesehen werden, koste es, was es wolle. Damit ihnen das gelingt, ist eine beliebte Strategie, die Opposition aufzubauen, aus Prinzip gegen Sie als Führung zu sein und zu versuchen, einige Adjutanten um sich zu scharen, die zu ihnen aufblicken.
Bei „Roten“ funktionieren (als Führung) in aller Regel zwei Strategien: Entweder, Sie geben Bedeutung durch wichtige Funktionen oder Aufgaben oder Sie demonstrieren, dass Sie der Kompetentere und Bessere sind. Zweiteres führt zu Akzeptanz Ihrer Rolle – frei nach dem Motto: „Löwen fressen nicht mit Schafen. Löwen fressen Schafe. Löwen fressen nur mit Löwen“ – Sie müssen zeigen, dass Sie die Leitlöwin oder der Leitlöwe sind. Zweitere Strategie funktioniert gut bei „Roten“, kann aber alle anderen (nicht roten MitarbeiterInnen) zutiefst irritieren, sodass wir empfehlen, diese Strategie nur sehr bewusst und am besten unter 4 Augen (maximal unter Beisein von anderen „Roten“) anzuwenden.



Graves-Level 4 – Blau: „Die Regeln sind am wichtigsten“

Die Erkenntnis, dass gewisse Regeln das Miteinander erleichtern, gewinnt die Oberhand. Unterordnung unter ein „höheres Prinzip“ bestimmt das Denken in dieser Bewusstseinsstufe. Der Führungsstil ist autoritär und hierarchisch. Recht und Ordnung gehen vor, Regeln sind einzuhalten. Diese Organisation kennt man aus religiösen oder militärischen Gemeinschaften, auch die Pflege hat einen hohen Blauanteil. Sätze wie „Das haben wir aber immer schon so gemacht“ oder „XX hat gesagt, dass das so gemacht werden muss“ sind in blauen Teams oft zu hören. Regeln geben Sicherheit und Halt, blockieren allerdings auch das selbständige Denken: Je mehr Regeln und Vorgaben es gibt, umso weniger denke ich selbst und werde zum „Braven Ausführenden“. Gerade in der Pflege ist (geschichtlich bedingt) „blau“ tief in den Berufs-Genen verankert. Davon zeugen Bücherwände voll Organisationshandbüchern, Strukturen und Dokumentationsvorgaben. QM ist übrigens eine klassische „blaue Erfindung“.

Das gute an „Blau“: Es ist verlässlich, nachhaltig, organisiert, strukturiert. Blaue Teams funktionieren wie das berühmte „Schweizer Uhrwerk“. Allerdings ist blau eben auch unflexibel.

Grundmotivator nach Robbins: Sicherheit

Entwicklung: Kinder im Alter von 6-8 (Volksschule) entwickeln ihre „blaue Phase“. Das sind Sätze wir „Aber die Frau Lehrerin hat gesagt, wir müssen das so machen“. Argumente, dass es auch anders möglich ist, verhallten ungehört. Die Regeln und Gesetze der Frau Lehrerin sind (bezüglich der Hausaufgaben) unbedingt einzuhalten.

Wenn Sie als Führungskraft ein Team mit hohem Blau-Anteil haben, werden Sie vermutlich gut eingespielte Routinen vorfinden, aber Schwierigkeiten, wenn diese – bspw. bei Krankenständen oder durch Change-Prozesse – adaptiert werden müssen. Veränderung wird nicht als „Abwechslung“ gesehen (so denken „Orange“) oder als Möglichkeit zum persönlichen „Wachstum“ (das ist „grünes“ Denken), sondern als Angriff auf die Sicherheit.
Wenn Sie Flexibilität und Kreativität wollen, entwickeln sie neue Strukturen (das sind im blauen Denken „Regeln“, diese geben Sicherheit) gemeinsam mit Ihrem Team, achten Sie auf Transparenz und ausreichend Information über Prozesse (auch das gibt Sicherheit) und geben Sie unbedingt allen Einwänden Raum. Sicherheit bedeutet auch Absehbarkeit und Wissen, wie es in Zukunft weitergeht. Zu wenig Information schafft Raum für Vermutungen und Gerüchte. Und „Blaue“ füllen diese Wissenslücke zumeist mit der Überzeugung, dass das Schlimmste passiert.


Graves-Level 5 – Orange: „Meine Leistung und mein Erfolg sind am wichtigsten“


Wenn Menschen beginnen, Regeln zu hinterfragen und eigenständig neue Ideen zu entwickeln, beginnt die Entwicklung von „Blau“ nach „Orange“.
In der „orangen Entwicklungsstufe“ wird die Welt rational verstanden und erklärt.
Orange ist leistungsorientiert und strategisch - der Clevere soll gewinnen. Kooperationen werden zum Verwirklichen des Eigeninteresses geschlossen. Wer nicht stark oder schlau genug ist, den Weg mitzugehen, bleibt eben zurück. Es gibt Gewinner und Verlierer und orange Menschen wollen zu den Gewinnern gehören. Regeln werden auf Sinnhaftigkeit und Nutzen hinterfragt und auch mal “kreativ ausgelegt“, um ein Ziel zu erreichen. Im Unterschied zu rot geht es aber nicht darum, dem anderen zu beweisen, dass man selbst besser ist, sondern ich möchte meine Ziele erreichen und wenn es meinen Zielen hilfreich ist, kann ich auch gut damit leben, dass der andere der Bessere oder Stärkere sein darf.
Auf der orangen Entwicklungsstufe geht es um Innovation, neue Ideen, Weiterkommen, nicht stehenbleiben. Die meisten wirtschaftlich agierenden Unternehmen haben ein sehr oranges Denken. Orange Organisationen wollen „Unternehmer im Unternehmen“ haben, MitarbeiterInnen sollen Strategien und Unternehmensziele (Leitbilder, Visionen) kennen und innerhalb dieser eigenverantwortlich und selbstbestimmt arbeiten.

Menschen mit einem hohen Orangeanteil sind initiativ, wollen selbständig entscheiden, gestalten und gehen daher gerne in eine Leitungsposition. Das führt dazu, dass orange Führungskräfte oft blaue Teams haben und nicht verstehen, warum „selber denken denn so schwer ist“.

Grundmotivator nach Robbins: Abwechslung (im Sinne von: Dinge neu denken, nicht im ewig alten Trott verhaftet bleiben)

Entwicklung: Jugendliche im Alter von 9-14 beginnen, zweckdienliche Kooperationen für ihren eigenen Vorteil einzugehen.


Wenn Sie in Ihrem Team viele Menschen mit hohem Orange-Anteil haben, erkennen Sie diese daran, dass sie sehr selbständig sind, flexibel, offen für neue Ideen, Leistungsorientierung an den Tag legen. Das kann zu Spannungen führen, da Regeln und Vorgaben kritisch hinterfragt und auch abgelehnt werden, wenn der Vorteil für die eigene Arbeit bzw. für BewohnerInnen nicht klar ist. Orange Menschen brauchen eine gute Erklärung (Sinn und Nutzen), ein klares Ziel und einen Rahmen, innerhalb dessen sie sich frei bewegen können. Um das Potenzial eines orangen Teams zu nutzen, müssen Sie als Führung es aushalten, dass unterschiedliche Wege zum Ziel führen können und von den MitarbeiterInnen eigene Lösungen – vielleicht dann aber andere als Ihre – gefunden werden. Orange Teams brauchen eine Führungskraft als Coach, der nur korrigierend eingreift, aber keine Führung, die alles vorgibt und „im Weg steht, indem sie vorm Team stehen möchte“.



Graves-Level 6 – Grün: „Gemeinsame Entwicklung ist am wichtigsten“

Durch die entstandenen Opfer von Orange (Burnout, Verlierer im Wettbewerb, fehlender Sinn, wenig persönliche Nähe) wird vermehrt nach menschlichen Bindungen und Sinn gesucht. Werte wie Umweltschutz, Gemeinschaft, Konsens und gegenseitige Rücksichtnahme und Vernetzung Treten in den Vordergrund. Multikulturalität und Betonung der Gefühlswelt gewinnen an Bedeutung; Achtsamkeit, Fürsorge und gefühlsmäßige Wärme sind wichtig. Es geht um die gemeinsame Entwicklung.
In Abteilungen mit einem hohen Grün-Anteil werden Entscheidungen gemeinsam getroffen, es wird nach Konsenslösungen gesucht. Der Nachteil ist: Es wird alles besprochen. Die Lösungsfindungen gestalten sich oft entsprechend schwierig, da viele Sichtweisen einbezogen werden jeder gefragt wird, alles ausdiskutiert wird

Grundmotivator nach Robbins: Wachstum (persönliche Entwicklung)

Entwicklung: Junge Erwachsene im Alter vom 15-21 Jahren entwickeln ihre „grünen“ Denkmuster, man ist füreinander da, alles wird in der Gruppe besprochen.


„Grün“ hat eine sehr positive Tendenz, jedoch blockiert sich grün selbst, wenn zu viele Menschen aus unterschiedlichsten Abteilungen in Lösungsfindungen einbezogen werden müssen.

Wenn Sie als Führung Menschen mit einem hohen Grün-Anteil im Team haben, erkennen Sie diese daran, dass sie am liebsten alles basisdemokratisch entscheiden möchten, dass alles besprochen werden muss, dass sie schwer damit leben können, wenn sie das Gefühl haben, für ein Teammitglied passt die momentane Lösung nicht. Hier gilt es, als Führungskraft eine gute Balance zu finden: Befindlichkeiten Raum geben, Themen im Team besprechen, aber dennoch zu einer Lösung kommen. Motto: Klar in der Sache, aber sanft (verständnisvoll) zum Menschen.



Graves-Level 7 – Gelb: „Mein Wissen und meine Ideen sind am wichtigsten“

Wenn die Erkenntnis aufkeimt, dass Basisdemokratie und das Einbeziehen aller zwar wertvoll ist, aber auch nicht zur Lösung führt, beginnt eine Entwicklung Richtung „gelb“.

Von „grün“ auf „gelb“ findet ein bedeutender Bewusstseinssprung statt. Die Stufen ab gelb werden auch „Bewusstseinsstufen des zweiten Ranges“ genannt. Während in den Ebenen purpur bis orange sich die einzelnen Bewusstseinsstufen gegenseitig belächeln oder sogar bekämpfen (insbesondere Blau, Orange und Grün), wird in einem „gelben Denken“ das erste Mal erkannt, dass jede bisherige Stufe ihre ganz eigenen Stärken hat.
Das bisherige Entweder-Oder-Denken („Wir brauchen klare Regeln und Vorgaben! (blau)“ – „Nein, ich bin alt genug und entscheide selbst, was am besten ist! (orange)“ – „Nein, wir sollten alle gemeinsam überlegen, wie das für uns am besten ist! (grün)“) wird durch ein Sowohl-als-Auch-Denken abgelöst: Plötzlich sind blaue Regeln, oranges Erfolgsstreben und grüne Rücksichtnahme nicht mehr sich gegenseitig ausschließend, sondern integrierbar. Gelb erkennt die Berechtigung und Sinnhaftigkeit aller Level und integriert sie („integrales Denken“).

Auf der gelben Bewusstseinsstufe stehen Kompetenz, Wissensdurst, Flexibilität und das Beschreiten von neuen Wegen im Vordergrund. Komplexität wird als zu bewältigbare Herausforderung gesehen. Interesse an modernen Techniken und Vernetzen zum Wissensaustausch werden wichtig. Multiperspektivität und der Versuch, Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten, gewinnt an Bedeutung.  Unterschiedliche Sichtweisen und auch Widersprüche werden als Erweiterung des Gesamtbildes wahrgenommen. Man hat nicht den Zwang, Widersprüche auszugleichen, sondern erkennt sie als Bereicherung, um Neues zu erschaffen.
Gruppen und Netzwerke werden genutzt, um eigene Kompetenzen zu erweitern. Die Wiederentdeckung von früheren Stufen (z.B. blau) ist möglich, ohne diese als Allerheilmittel zu sehen, sondern als Möglichkeit des Fortschritts und der (Selbst-) Verbesserung.

„Gelb“ ist sehr stärkenorientiert: Die Stärken aller werden im Sinne des Gesamten bestmöglich genutzt.

Speziell für Führungskräfte ist ein hoher Gelb-Anteil hilfreich, um nicht in die Falle zu tappen, Teams „in eine Farbe bringen zu wollen“ („alle sollen die Regeln einhalten“/blau oder „Jeder soll selbständig denken“/orange oder „es muss alles im Team entschieden werden“/grün), sondern um die unterschiedlichen Stärken und Potenziale Aller zu erkennen und zu nutzen und eine Teamentwicklung im Sinne einer Persönlichkeitsentwicklung von jedem einzelnen im Team entsprechend achtsam zu gestalten


Grundmotivator nach Robbins: Kein spezifischer Motivator zugeordnet. Es steht die integrative Erfüllung aller bisherigen Motivatoren im Vordergrund.

Entwicklung: kein spezifisches Alter



Graves-Level 8 – Türkis: „Die globale Entwicklung ist wichtig“

Wenn sich mehrere „Gelbe“ zusammenfinden, da sie erkennen, dass sie gemeinsam mehr bewegen können, wird es global.
In einer türkisen Umwelt kooperieren Menschen über Organisationsgrenzen hinweg zum Wohle der Gesellschaft. Es gibt keine definierten Strukturen, sie ändern sich situativ. Ganzheitliches Handeln, bei dem nicht mehr das eigene Team, das eigene Unternehmen oder das eigene Land im Fokus steht, sondern die gesamte Menschheit bzw. der Planet, steht im Vordergrund. Das Individuum nimmt sich als eigenständig und gleichzeitig Teil eines größeren Ganzen wahr.
Auch wenn sich viele gerne als türkis bezeichnen, ist über diese Bewusstseinsstufe noch nicht viel bekannt, insbesondere auch nicht, wie Unternehmen nachhaltig und dauerhaft auf dieser Ebene geführt werden können.

In der persönlichen Entwicklung haben jedoch viele Menschen einen Türkis-Anteil, der mit zunehmendem inneren Wachstum verstärkt in den Vordergrund treten kann. Bei Türkis geht es darum, aus uneigennützigen Gründen zusammenhelfen, damit das Gesamte ein wenig besser wird. Dies geht über Teamgrenzen, aber auch Unternehmensgrenzen hinaus: „Wenn ich etwas entwickelt habe, das dir die Arbeit leichter macht oder einen Vorteil für die betreuten Bewohnerinnen und Bewohner bietet, teile ich es, damit der Nutzen vergrößert wird“.
Im orangen Denken würde ich es nur teilen, wenn ich dafür etwas zurückbekomme, das mir hilft. Ansonsten „sollen sich die anderen selbst anstrengen, um auch so gut zu werden, wie ich. Mir hat es auch niemand geschenkt. Das Leben ist eben kein Ponyhof“.

Grundmotivator nach Robbins: Beitrag leisten

Entwicklung: kein spezifisches Alter




Allgemein ist festzuhalten, dass jeder Mensch Anteile aller Farben in sich trägt, bloß unterschiedlich stark ausgeprägt. Es heißt somit auch nicht: Je höher das Level, desto besser. Jedes Level hat seine ganz besonderen Stärken, braucht aber auch unterschiedliche Führungsstile.

Neue Führungsstile werden oft gehypt und als „Das ist die Zukunft von Leadership“ angepriesen. Seminare dazu klingen inspirierend und es beginnt der Versuch, neue Führungsprinzipien in der eigenen Organisation einzuführen.
Die Enttäuschung folgt am Fuß, wenn man erkennt, dass das so nicht funktioniert. Managementtheorien werden immer nur für einen Teil der Unternehmen bzw. Teams passen. Mehr Sinn macht die Fragen, welches Wertesystem meine jeweilige Abteilung bzw. mein Team brauchen, um bestmöglich die gestellten Aufgaben zu lösen.



Umfrageergebnisse:

Zunächst wollen wir uns bei allen bedanken, die an der Umfrage „Generationen -Werte – Wichtigkeit“ teilgenommen haben.

In dieser Umfrage haben wir nach der persönlichen Wichtigkeit von jedem der 6 Grundmotivatoren gefragt. Die Frage war ganz einfach gestellt: Wie wichtig sind Ihnen persönlich … (Sicherheit, Zugehörigkeit, …). Zur Beantwortung gab es einen digitalen „Schieberegler“, der von 0 (gar nicht wichtig) bis 100 (sehr wichtig) geschoben werden konnte.

Die folgende Grafik zeigt, wieviel Prozent der Teilnehmenden den jeweiligen Grundmotivator als „sehr wichtig“ (Wichtigkeit 90 oder höher) eingestuft haben:

 
Grafik 2: Statistik „Generationen, Werte, Wichtigkeit“ © KLI, HCC 2020

Diese Grafik zeigt die Antworten von 36 Führungskräften aus der Langzeitpflege. Die Grundmotivatoren Abwechslung, Wachstum, Beitrag leisten (entsprechend den Graves-Leveln orange, grün, türkis) stehen im Vordergrund, wobei türkis vor allem in der persönlichen Entwicklung eine Rolle spielt.
Im Vergleich der Generationen hat sich gezeigt, dass das Bedürfnis nach Sicherheit bei der Generation Y (geb. 1980-1996) deutlich höher ist als bei den Babyboomern (geb. bis 1964). Ebenfalls ist der Wunsch nach Bedeutung bei der Generation Y deutlich höher als bei den Babyboomern. Die anderen Grundmotivatoren sind generationenübergreifend auf einem sehr ähnlichen Niveau.

Bei MitarbeiterInnen der Basis zeigt sich oft ein anderes Bild: Unsere Befragungen im Zuge von Teamtagen haben gezeigt, dass Sicherheit und Zugehörigkeit die dominanten Werte sind, gefolgt von Bedeutung („Ich will gesehen werden, ich will auch wichtig sein, ich möchte für meine Leistungen gewürdigt werden“).

Conclusio:

Dies macht klar, warum viele Führungskräfte ihr Team und deren Verhalten nicht verstehen. Sie schließen von ihrem persönlichen Level (orange oder grün) auf andere und machen den Trugschluss: „Ich finde Eigenständigkeit und Eigenverantwortung gut, also muss das doch wohl auf für die anderen gut sein“. (Orange)“ bzw. „Ich finde persönliches Wachstum und gemeinsame Entwicklung als Team gut, also müssen das doch die anderen auch so empfinden (Grün)“.

Das entspricht dem „Denken des ersten Ranges“: Orange wollen die Welt orange machen, Blaue wollen sie blau machen oder Grüne wollen sie grün machen.

Somit: Hören Sie in einer stillen Minute einmal ehrlich in sich selbst hinein, welche Farbe bei Ihnen im Vordergrund steht und welche bei Ihrem Team und haben Sie den Mut, sich auf eine spannende Reise zu begeben: Die Reise auf die nächste Stufe.  Beginnen Sie Ihre gelb-Anteile zu stärken und erkennen Sie, dass – wie in einem Regenbogen – jede Farbe ihren Platz hat und auf ihre Weise wichtig für das Gesamte ist.


Alexander Seidl
Geschäftsführer health care communication
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www.healthcc.at

Mag. Dr. Annelies Fitzgerald
Leiterin Karl Landsteiner Institut für Human Factors & Human Resources
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
www.kli-hr.at


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