Artikelbild Epidemiegesetz und HeimAufG iFamZ 2020/173

von Michael Ganner

Beschränkungen in Heimen für entscheidungsfähige Personen wegen COVID-19: versperrte Einrichtung, Beschränkung der Ausgangszeiten, angedrohte Zimmerisolierung

LG Wels 1. 7. 2020, 21 R 118/20g sowie fast gleichlautend LG Wels 1. 7. 2020, 21 R 119/20d

Eine Freiheitsbeschränkung (durch Untersagen des Verlassens der Einrichtung bzw Beschränkung des Ausgangs auf bestimmte Zeiten) kann nicht auf das Epidemiegesetz gestützt werden, wenn ein Bewohner weder krank, noch krankheitsverdächtig oder ansteckungsverdächtig iSd EpG bzw der Absonderungsverordnung war oder ist, der Freiheitsbeschränkung zudem kein Bescheid einer Bezirksverwaltungsbehörde zugrunde liegt und das Heimpersonal zur Umsetzung einer behördlich angeordneten Anhaltung bzw Verkehrsbeschränkung auch nicht zuständig wäre. Eine Freiheitsbeschränkung iSd HeimAufG darf an einem Bewohner ohne oder gegen dessen Willen nur vorgenommen werden, wenn dieser an einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung leidet. Deshalb ist die Anordnung freiheitsbeschränkender Maßnahmen an „geistig gesunden“ Bewohnern auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie nach dem HeimAufG unzulässig.

Unerheblich sind Empfehlungen und Ersuchen der Gesundheitsbehörden, da sie keine normative Wirkung haben, und wären auch Erlässe als „Verwaltungsverordnungen" für die Gerichte mangels gehöriger Kundmachung ohne rechtliche Wirkung. Letztlich unerheblich ist auch, ob die Umsetzung der von den Gesundheitsbehörden vorgegebenen bzw empfohlenen Maßnahmen einen logistischen und organisatorischen Aufwand erfordert und mit dem vorhandenen Personal bei einer 24-Stunden-Öffnung der Einrichtung nicht zu bewerkstelligen ist, weil Freiheitsbeschränkungen zur Sicherstellung eines störungsfreien Anstalts- bzw Heimbetriebes, die beispielsweise aus einer personellen Überlastung resultieren, unzulässig sind. Die Grundrechtsgewährung darf also nicht am mangelhaften sachlichen und personellen Aufwand der Heimträger scheitern.

Unstrittig (…) ist, dass der Bewohner weder psychisch krank noch geistig behindert iSd § 4 Z 1 HeimAufG ist und er in der Lage ist, sich außerhalb der Einrichtung gemäß den aktuellen COVID-19-Schutzbestimmungen zu verhalten und diese einzuhalten. Der Bewohnervertreter beantragte mit dem am 19. 5. 2020 eingebrachten und in der „Verhandlung“ vom 25. 5. 2020 modifizierten Antrag die Feststellung, dass die im Zeitraum 13. 3. bis 18. 5. 2020 vorgenommene Freiheitsbeschränkung dadurch, dass der Bewohner die Einrichtung nicht verlassen konnte, unzulässig war und die aktuell vorgenommene Freiheitsbeschränkung dadurch, dass der Bewohner außerhalb der Ausgehzeiten (Montag bis Samstag 08:00 Uhr bis 12:00 Uhr, 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr sowie Sonntag 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr) die Einrichtung nicht verlassen kann, unzulässig ist. Dem Bewohner werde das Verlassen der Einrichtung untersagt, die Ausgangstür sei versperrt. Würde Herr N. N. das Heim dennoch verlassen, hätte er mit einer 14-tägigen Zimmerquarantäne zu rechnen. Aktuell (nach dem 18. 5. 2020) seien Ausgänge außerhalb der festgelegten Ausgehzeiten nicht möglich. Der Einrichtungsleiter brachte vor, laut Mitteilung der Sozialabteilung des Landes Oberösterreich seien seit 18. 5. 2020 grundsätzlich Ausgänge für sämtliche Bewohnerinnen und Bewohner zu bestimmten Zeiten möglich, wobei im Hinblick auf die erforderlichen Begleitmaßnahmen seitens der Einrichtung konkrete Ausgehzeiten festgelegt worden seien, und zwar Montag bis Samstag 8:00 Uhr bis 12:00 Uhr und von 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr sowie sonntags 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr.

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Ao. Univ.-Prof. Dr. Michael Ganner
www.lindeverlag.at/ifamz

 

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