von Traude Kogoj, Ingrid Moritz und Anna Steiger

Spätestens seit der Covid-19 Krise und dem Lockdown wissen wir, dass Pflegekräfte als „systemrelevant“ einzustufen sind.

Als „Systemerhalter*innen“ wurden sie in dieser Zeit beklatscht und gewürdigt – an ihrer Gehaltssituation hat sich dadurch aber nichts geändert.

Eingedenk aktueller Studien zur Gehalts- und Lebenssituationen von Frauen in systemerhaltenden Berufen, fordern über 50 Wissenschaftlerinnen, allesamt Trägerinnen des renommierten Käthe Leichter-Preises, eine sofortige Aufwertung der Arbeit in systemrelevanten Berufen.

Pflegekräfte stehen nicht nur in Ausnahmesituationen, wie einer „Corona-Krise“, vor besonderen Herausforderungen. Sie tragen Sorge für Menschen, deren Lebenssituation oft von Krankheit, Unsicherheit, Angst und Verletzlichkeit geprägt ist. Ihr Arbeitsalltag ist körperlich anstrengend, erfordert psychische Stabilität und Resilienz sowie hohe fachliche und methodische Kompetenzen. Gefordert ist insbesondere Flexibilität, Belastbarkeit, Organisationstalent, Verantwortungsbewusstsein, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit. Qualifikationen, die typischer Weise in Stellenausschreibungen für Führungspositionen gefordert werden. Pflegekräfte übernehmen in hohem Maße Verantwortung für andere Menschen, sie strukturieren deren Alltag, müssen flexibel auf unvorhersehbare Situationen reagieren, Krisensituationen meistern, angemessen und empathisch mit sehr unterschiedlichen Menschen kommunizieren, Konflikte managen und lösen.
Etliche Prozesse und Arbeitsschritte, insbesondere in der Dokumentation, werden in der Pflege „digital“ abgewickelt, die Zukunft verspricht uns den „Pflegeroboter“ sowie andere, digital zu steuernde Hilfsmittel. Entsprechende digitale Kompetenzen werden jetzt schon und in Zukunft immer mehr auch von Pflegekräften gefordert sein.
Das Gehaltsniveau von Pflegekräften spiegelt diese (Arbeits)anforderungen in keiner Weise wider. Es ist an der Zeit, dass sich das Bild, das wir uns von den Anforderungen in der Pflege machen, grundlegend ändert. Und damit einhergehend das Gehaltsniveau einer (neutralen) Neubewertung, angepasst an die Arbeitsrealität und deren Anforderungen, unterzogen wird.

Über 70 % der in systemrelevanten Berufen Tätigen sind Frauen. Ihre Einkommen zählen zu den geringsten in Österreich. In einigen Dienstleistungsbereichen haben sie sich im Vergleich zu 2014 sogar um weitere 7 % verschlechtert. Edeltraud Ranft, Käthe-Leichter Staatspreisträgerin 1995, fordert eine Neubewertung der Arbeit: "Dem vorübergehenden Beklatschen und über die eventuelle aktuellen Bonuszahlungen hinaus müssen gezielt Aufwertungsstrategien (sowie eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen) folgen. Unerlässlich dabei ist, die Bewertungs‐ und Entgeltssysteme einer diskriminierungskritischen Prüfung zu unterziehen, um konkrete Ansatzpunkte für Verbesserungen zu haben.“ Denn es ist nicht einzusehen, weshalb Entgelte in  produzierenden, meist männerdominierten  Branchen, durchwegs höher liegen als in Dienstleistungsbranchen, in denen, wie im Pflegebereich, fast durchwegs Frauen beschäftigt sind.
Doch dem nicht genug, verweist Nadja Bergmann, Käthe-Leichter Preisträgerin 2015, auf weitere Verwerfungen, die sich aus der Digitalisierung der Arbeit zum Ungunsten von Frauen abzeichnen: "Zukünftig werden digitale Kompetenzen eine immer größere Bedeutung bei der (monetären) Bewertung von Berufen spielen. Fallstudien zeigen, dass digitale Kompetenzen bei frauendominierten Berufen, etwa im Handel, Reinigung oder auch in der Pflege gerne ‚übersehen‘ und/oder nicht gefördert werden. Die Gefahr einer wachsenden ‚digitalen Kluft‘ mitsamt größer werdender Einkommensunterschiede zeichnet sich ab – zum Nachteil vieler Frauen, die in systemrelevanten Berufen tätig sind“, so das vorläufige Ergebnis von einer Studie zum Thema gleichstellungsrelevante Aspekte der Digitalisierung der Arbeitswelt von Nadja Bergmann, L&R Sozialforschung. Und: „Es gilt also zwei Hebel in Bewegung zu setzen: zum einen müssen digitale Kompetenzen bei allen Beschäftigten – nicht nur beim ‚klassischen Programmierer‘ – in die Arbeitsbewertung einfließen und gefördert werden. Zum anderen müssen trotz des Digitalisierungs-Hypes auch noch andere Aspekte – z.B. ‚Emotionsarbeit‘ – in Arbeitsbewertungen berücksichtigt werden. Das heißt, nicht nur die sachgemäße Bedienung und Weiterentwicklung des Pflegeroboters muss erlernt werden, daneben bleibt die unmittelbare Emotionsarbeit in der Arbeit mit Menschen, die Pflegeroboter zu leisten nicht imstande sind. Die Sozialpartner aber auch die Politik ist hier gefordert, dass die bedeutsamen Arbeitsplätze eine Aufwertung erfahren und nicht weiter abgehängt werden“.

Hinzu kommt die reproduktive Arbeit, die fast ausschließlich bei den Frauen liegen bleibt. Viele Pflegekräfte sind Eltern und haben es besonders schwer, Job und Familie unter einen Hut zu bringen. Wechselnde Dienstpläne, Nacht- und Wochenenddienste sind mit Familienleben oft schwer zur vereinbaren. Im Lockdown waren Pflegekräfte ausgeschlossen von Sonderbetreuungsurlaub oder Homeoffice. Sie standen ebenso wie viele andere Eltern vor geschlossenen Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen, mussten sich und ihre Kinder auf „Home-schooling“ umstellen und vor allem: sie mussten die Hausarbeit und die Kinderbetreuung trotz Schichtdienst auf die Reihe kriegen. Katharina Mader, Käthe-Leichter Preisträgerin 2019, stellt in ihrer neuesten Studie über genderspezifische Effekte von Covid-19 fest: "Krisen wie die aktuelle wirken immer wie Vergrößerungsgläser. Es zeigen und verstärken sich Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, aber auch zwischen Klassen, zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund usw. Unsere Ergebnisse zeigen die Doppel- und Dreifachbelastungen von Frauen im Zuge des Lockdowns, denn offensichtlich haben die zugehörigen Partner nicht gefunden, dass die Hälfte der unbezahlten Arbeit im Haushalt und bei der Kinderbetreuung ihnen gehört. Wir stellen fest, Emanzipation hat nicht so stattgefunden wie wir bisher gedacht haben. Wenn eine Gesellschaft nach mehr Geschlechtergerechtigkeit strebt, dann muss es ganz wesentlich um eine Umverteilung der unbezahlten Arbeit im Privaten gehen."

Die Covid-19 Krise hat die strukturelle Schwäche Österreichs offengelegt. Alle bisher vorgelegten Studien zeigen, dass die Krise die Schwächsten in unserer Gesellschaft besonders hart trifft. Dazu zählen die Arbeiterinnen und die in systemrelevanten Berufen Tätigen. „Diese dürfen nicht mit Einmalzahlungen abgespeist werden“, so Traude Kogoj, Ingrid Moritz und Anna Steiger, Initiatorinnen des Käthe-Leichter Wissenschaftlerinnen – Netzwerks: „Die Regierung hat bisher keine bzw. die falschen Ableitungen getroffen.“

Zum „Käthe Leichter Netzwerk“: 50 Wissenschaftlerinnen, allesamt Trägerinnen des renommierten Käthe Leichter-Preises, setzen sich für die Stärkung der feministischen Wissenschaft und die konsequente Einbindung der feministischen Perspektive in den demokratiepolitischen Diskurs ein.

Rückfragen an:
Dr.in Traude Kogoj
Käthe Leichter Staatspreisträgerin 2018
ÖBB – Diversity Beauftragte
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Mag.a Ingrid Moritz
Jurymitglied Käthe Leichter Preis
Arbeiterkammer Wien – Leiterin Abt. Frauen und Familie
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Mag.a jur Anna Steiger
Jurymitglied Käthe Leichter Preis
Vizerektorin für Personal & Gender
Technische Universität Wien
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