Artikelbild Pflegeeinrichtungen in Zeiten von Corona: Volksanwaltschaft befragte Heime

von Gabriele Tupy

Das Coronavirus hat die Pflegeeinrichtungen und ihre Beschäftigten vor noch nie dagewesene Herausforderungen gestellt.

Die Volksanwaltschaft wollte wissen, welche Probleme während und nach dem Lockdown zu bewältigen waren. Von 4. bis 15. Mai führten die sechs Kommissionen der Volksanwaltschaft, die für die präventive Menschenrechtskontrolle in den Einrichtungen zuständig sind, daher österreichweit 166 Telefoninterviews mit Pflegedienstleitungen durch.

Am 1. Juli 2020 lud Volksanwalt Mag. Bernhard Achitz zur Pressekonferenz zum Thema „Pflegeeinrichtungen in Zeiten der Corona-Pandemie“ in die Volksanwaltschaft ein, präsentierte die Ergebnisse und sprach Empfehlungen im Falle einer „zweiten Welle“ aus.

„Müsste man das Ergebnis in einem Satz zusammenfassen, könnte man sagen, die Heimleitungen hätten sich von der Politik klarere Vorgaben statt schwammige Empfehlungen gewünscht. Sie hatten teilweise das Gefühl, dass viel Verantwortung auf sie abgeschoben wurde“, so Volksanwalt Achitz in seinen einleitenden Worten.

Gesundheitsbehörden sind oft als einzige in der Lage, gefährliche Aktivitäten laufend zu überwachen, zeitgerecht zu erkennen und geeignete Maßnahmen zur Minderung dieser Gefahren zu treffen. Viele Pflegeeinrichtungen haben in den Telefoninterviews betont, dass man von Gesundheitsbehörden eine Einschätzung von Risiken und Problemstellungen schon vor dem Lockdown gewünscht hätte. Da es die nicht gab, wären Berichte aus dem benachbarten Ausland über die Infektionsgefahr und Verbreitungswege des Erregers einerseits bzw. die Sterberaten von Hochaltrigen und dem Gesundheitspersonal andererseits verängstigend und verunsichernd gewesen.

Die Empfehlungen des Gesundheitsministeriums zu „COVID-19 Schutzmaßnahmen für Pflege und Betreuung“ vom 1. April 2020 wurden in den Telefoninterviews von mehreren Pflegedienstleitungen als hilfreiche Grundlage für die Adaptierung und Umsetzung organisationsinterner Prozesse und Dienstpläne bezeichnet.

Mehrfach wurde aber kritisiert, dass Empfehlungen der Gesundheitsbehörden zu spät gekommen wären – und dass es sich eben nur um Empfehlungen gehandelt habe. Bevorzugt hätte man klare rechtliche Vorgaben, auch aus Haftungsgründen.

Auch die medizinische Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner wurde auf „Notbetrieb“ umgestellt. Sie wurden nur mehr sehr eingeschränkt persönlich untersucht und ärztlich versorgt. Teils sahen sich auch die Hausärztinnen und -ärzte der Bewohnerinnen und Bewohner zu Konsultationen in den Pflegeeinrichtungen nicht in der Lage.

Eines der größten Probleme war die über Wochen hinweg schwierige Beschaffung von genügend Schutzausrüstung für das Personal. Das Fehlen von Unterstützung staatlicher Stellen gerade in der Frühphase sowie ausbleibende Hilfe bei der Beschaffung von Schutzausrüstung wurde in einigen Bundesländern als enttäuschend erlebt. Mitte Mai gaben österreichweit 85 % der kontaktierten Pflegedienstleitungen bekannt, für die nächste Zeit über Schutzkleidung in ausreichender Zahl und Qualität zu verfügen.

Österreichweit haben 23 % der von den Kommissionen kontaktierten Pflegeeinrichtungen bis Mitte Mai Bewohnerinnen und Bewohner mit Covid-19-Erkrankungen betreut. 28 % der Einrichtungen gaben außerdem an, dass auch Pflegepersonal an Corona erkrankt sei. Das Arbeitspensum sei mit dem vorhandenem Personal nicht zu bewältigen. Die Arbeit mit voller Schutzausrüstung wurde als besonders anstrengend und schweißtreibend bezeichnet.

Ausgangsbeschränkungen, die für die gesamte Bevölkerung galten, wurden – auch für kognitiv nicht eingeschränkte – Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner verschärft: Ihnen wurde oft untersagt, die Einrichtungen wie bisher gewohnt zu verlassen, um Einkäufe zu tätigen, kurze Spaziergänge zu unternehmen, oder Bank- und Postgeschäfte zu erledigen.

Je nach Bundesland wurden zwischen Ende Februar bzw. ab Mitte März 2020 Besuche durch Angehörige untersagt. Das Gesundheitsministerium als oberste Gesundheitsbehörde akzeptierte das während des Lockdowns unwidersprochen und trat dem nicht aktiv entgegen. Auf Basis einer Empfehlung des Gesundheitsministeriums konnten Bewohnerinnen und Bewohner ab 4. Mai 2020 wieder Angehörigenbesuche empfangen. In der Realität haben einige Pflegeeinrichtungen etwas länger für die Vorbereitung gebraucht; Mitte Mai 2020 waren persönliche Begegnungen in den meisten Einrichtungen wieder möglich. Allerdings zeigten sich Angehörige betroffen darüber, dass ihnen zu wenig Zeit eingeräumt wurde, da Besuchsintervalle an jeweils ein Familienmitglied gegen Voranmeldung gestaffelt vergeben und mit 15 bis 30 Minuten begrenzt wurden. Diesbezüglich ist im Juni 2020 eine weitere Empfehlung des Gesundheitsministeriums ergangen, die Erleichterungen bringen soll. Auch hier übernehmen weder Gesundheitsbehörden noch die Länder im Zuge der Pflegeheimaufsicht eine Mitverantwortung, die sich in klaren Regelungen niederschlagen hätte können – so die Volksanwaltschaft.

Empfehlungen und Forderungen der Volksanwaltschaft

  • In Pflege investieren
  • Bund und Länder müssen die Einrichtungen besser durch die Pandemie begleiten
  • Testungen: Vorrang für Pflegeeinrichtungen vor Tourismus
  • Klare Regeln statt unverbindliche Empfehlungen
  • Verständliche und gebündelte Informationen
  • Selbstbestimmung statt Altersdiskriminierung
  • Sozialkontakte statt Isolation
  • Bewegungsfreiheit statt Ausgangsverbote
  • Ärztliche und therapeutische Versorgung sichern – Telemedizin ausbauen
  • Versorgung mit Schutzausstattung
  • Arbeitnehmerinnen/Arbeitnehmer schützen
  • Impfungs-Offensive


In der Krise sei besonders deutlich geworden, dass sich jede Investition in die Pflege lohnt. Die Bevölkerung wie auch die MitarbeiterInnen in der Pflege, bräuchten dringend die Gewissheit, dass sich die Situation nachhaltig verbessern werde. Gerade wegen der erkannten „Systemrelevanz“ sollte das Rollenbild der Berufsgruppe auch politisch mehr Beachtung bekommen. Es gehe um berechtigte Ansprüche auf bessere Arbeitsbedingungen, die eine menschenwürdige Pflege erst möglich machen.

Die auch durch die Krisenkommunikation der Bundesregierung beförderte Haltung gegenüber älteren Menschen („Alte Menschen müssten während der Pandemie vor zu viel Kontakten geschützt werden“) legitimierte auch Pflegeeinrichtungen, diese in ihrer Selbstbestimmung – mehr und länger als sonstige Bevölkerungsgruppen – einzuschränken. Einschränkungen allein aufgrund des Alters zu verfügen und nicht aufgrund detaillierter Informationen zum individuellen Gesundheitszustand festzulegen, bedeute jedoch Altersdiskriminierung und sei zu unterlassen.

Bei Corona-Ausbrüchen müssen drei Bereiche in Einrichtungen räumlich und personell voneinander abgegrenzt werden:

  •     Für Nicht-Fälle (Bewohnerin/Bewohner ohne Symptome bzw. Kontakt; mit großer Wahrscheinlichkeit negativ); keine pauschalen Besuchsverbote;
  • für Verdachtsfälle (z.B. Kontakte oder Bewohnerinnen und Bewohnern, für die noch kein Testergebnis vorliegt);
  • für positiv Getestete und Menschen mit Symptomen; Einzelzimmer möglichst mit eigener Nasszelle.


Wo keine Besuche möglich sind, müssen alternative Kommunikationsmöglichkeiten geschaffen werden (Mobiltelefone, Tablets, …).

Volksanwalt Mag. Achitz stellte fest, dass zu keinem Zeitpunkt eine Rechtsgrundlage für pauschale Ausgangsverbote, die eine spezielle Form der Freiheitsentziehung darstellen, gegeben habe. Die präventive Isolierung von Bewohnerinnen und Bewohnern, die selbstständig in der Lage sind Abstandsgebote und Hygienemaßnahmen in und außerhalb von Pflegeheimen einzuhalten, kollidiere jedenfalls mit der Verpflichtung zur Wahrung von Menschenwürde. Durch Heimleitungen verfügte, repetitive 14-tägige Quarantänemaßnahmen bei nichtinfektiösen Personen sind zu unterlassen. Diese Isolationsmaßnahmen und Ausgangsverbote erfolgten ohne ausreichende Rechtsgrundlage.


Gabriele Tupy
imzusammenspiel kommunikationsmanagement
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

DRUCK/PDF

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.