Artikelbild Ein Heim ist kein Hospiz

von Marina Kojer

Vor dreißig Jahren konnten viele Menschen mit dem Begriff Hospiz noch nicht viel anfangen. Die besser Informierten wussten, dass Krebskranke dort mit weniger Schmerzen und „irgendwie“ auch „besser“ und „schöner“ sterben. Heute ist uns der Begriff Hospiz geläufig, er ist Teil unserer Umgangssprache geworden.
Aber...

Wofür steht der Begriff Hospiz?

Ein Großteil der Menschen versteht darunter eine Einrichtung, in der Schwerstkranke und Sterbende besonders kompetent und liebevoll betreut werden. Bei den meisten besteht auch kein Zweifel daran, dass es daneben noch ein haupt- und ehrenamtliches, ambulantes Hospiz gibt, das schwerkranken Menschen in ihren eigenen vier Wänden fachkundig, hilfreich und verständnisvoll zur Seite steht. Aber ist damit wirklich alles Wesentliche gesagt?
Für mich und für viele andere steht der Begriff Hospiz in erster Linie für die besondere Haltung, die es erst möglich macht, schwer chronisch kranken Menschen und ihren Zugehörigen bis zuletzt kompetent und mitfühlend zu begegnen. Diese Haltung ist durch die Bereitschaft gekennzeichnet, Kranken und ihren engsten Bezugspersonen mit offenem Herzen zu begegnen, ihnen aus freien Stücken zu dienen und so ihre Anliegen zu den eigenen zu machen. DIENEN? Dieses Wort ist in unserer Gesellschaft zu Unrecht in Verruf geraten! Dabei heißt dienen nichts anderes, als sich an den Wünschen und Bedürfnissen der Menschen zu orientieren, in deren Dienst man sich gestellt hat. Erst diese freiwillig erbrachte, zuwendende Bereitschaft versetzt uns in die Lage wahrzunehmen, wie es dem leidenden Mitmenschen geht und ihm achtsam, mitfühlend und hilfsbereit zu begegnen. Erst diese Haltung schafft die Voraussetzung dafür uns behutsam zu einem Du „hinzufühlen“. Gleichgültigkeit und seelische Distanz zu den Betroffenen sind daher mit der hospizlichen Haltung unvereinbar.  Ohne diese Haltung fehlt unserem Tun „die Seele“, aus der das tiefe innere Verständnis für die Not eines Anderen erwächst.  Hospizliche Haltung kann in jedem Setting gelebt werden, im Heim genauso gut wie im Hospiz.
Kann ein Heim vielleicht doch ein Hospiz sein?

Hospiz und Palliative Geriatrie1  – was haben sie gemeinsam?

Es ist nicht zu übersehen: Palliative Geriatrie und Hospiz haben viele deckungsgleiche Ziele und sie teilen – wie bereits gesagt – das Wesentlichste, nämlich die Haltung, ohne die weder das eine noch das andere denkbar wäre. Sowohl Hospiz als auch Palliative Geriatrie sehen Tod und Sterben nicht als Misserfolg an, beide wenden sich vermehrt Menschen in ihrer unterschiedlich langen letzten Lebensphase zu und möchten was in ihrer Kraft steht dazu beitragen, dass die Betroffenen die ihnen bleibende Zeit so beschwerdearm und  erlebenswert wie möglich verbringen können. Nicht die Krankheit, sondern der leidende Mensch mit seinen Wünschen und Bedürfnissen steht im Mittelpunkt.
Die PionierInnen der Hospizbewegung betonten immer wieder, dass die Kranken unsere LehrmeisterInnen sein müssen, weil nur sie uns sagen können, was ihnen wichtig ist.  Auch in der Palliativen Geriatrie besteht unsere Hauptaufgabe darin, die subjektiven Probleme, Bedürfnisse und Ziele der Einzelnen zu erkennen und unsere Handlungen danach auszurichten.  Palliative Geriatrie muss daher – wie Roland Kunz (2019) es ausdrückt – für jede und jeden Einzelnen maßgeschneidert sein, gleichsam die „Haute Couture“ aus Medizin, Pflege und Betreuung.  
Ob kranke Menschen jung oder hochbetagt sind, ob sie an einem fortgeschrittenen Karzinom leiden oder schwer multimorbid und in ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind: die unverzichtbaren Voraussetzungen um zu erkennen was einen Menschen quält, sind gelingende Kommunikation und der Aufbau einer von Vertrauen getragenen Beziehung. Mangelnde Haltung und misslingende Kommunikation verhindern, dass Bedürfnisse erkannt und fachliche Kompetenzen sinnvoll eingesetzt werden.
Ein Heim ist kein Hospiz!
Hochbetagte mit und ohne Demenz sind nur ausnahmsweise in einem Hospiz gut aufgehoben. Der wichtigste Unterschied zwischen einem Heim und einem Hospiz besteht darin, dass sich die beiden Einrichtungen an unterschiedliche Menschengruppen wenden. Beide Gruppen brauchen eine „Haute Couture“ aber die „SchneiderInnen“ in den betreuenden Teams benötigen dafür unterschiedliche Kompetenzen.
Weitere wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Einrichtungen:

  • Multimorbide Hochbetagte, die nicht mehr ambulant betreut werden können, brauchen in der Regel für längere Zeit ein neues Zuhause. Zwar hat sich die durchschnittliche Verweildauer in den Heimen in den vergangenen Jahren deutlich verkürzt, doch unsere BewohnerInnen leben noch immer um vieles länger bei uns, als dies in einem Hospiz vorgesehen ist
  • Dank der langen Verweildauer haben MitarbeiterInnen in Pflegeheimen nicht nur palliative, sondern auch viele andere Aufgaben zu erfüllen
  • Gute Behandlung, Pflege und Betreuung von Menschen mit Demenz braucht ein eigenes Konzept und fordert den MitarbeiterInnen besondere Kompetenzen ab, allen voran die Kompetenz in Kommunikation mit den Betroffenen
  • Sehr alte Menschen haben andere Prioritäten als jüngere, an einer weit fortgeschrittenen unheilbaren Erkrankung leidende PatientInnen. Die hochbetagte alte Dame kann vielleicht mit den Schmerzen, die ihre fortgeschrittenen Arthrosen verursachen ganz gut leben aber sie leidet sehr darunter, dass sie immer schlechter hört und nicht mehr allein auf die Toilette gehen kann.  Der alte Herr spürt selbst gar nicht, dass er schlecht Luft bekommt aber sein vermehrter Speichelfluss ist ihm äußerst peinlich und belastet ihn.

Nein, ein Pflegeheim ist kein Hospiz und soll es auch nicht sein! Es soll ein Ort sein, an dem hospizliche Haltung und palliativgeriatrische Kompetenzen gelebt werden, damit die Menschen, die wir dort betreuen, ein gutes Leben haben und gut sterben können.


Hon.Prof.in Dr.in med. Dr.in phil. Marina Kojer
Geriaterin, Palliativmedizinerin, Psychologin, Ehrenvorsitzende der Fachgesellschaft für Palliative Geriatrie (FGPG)
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1 Die Fachgesellschaft für Palliative Geriatrie (FGPG) hat 2018 ein Grundsatzpapier zu Themen und Inhalten der Palliativen Geriatrie veröffentlicht (https://www.fgpg.eu/wp-content/uploads/2019/11/20180831_FGPG_Grundsatzpapier_Palliative-Geriatrie.pdf)



Literatur

(1) Kunz R (2019) Einführung in die Palliative Geriatrie. Vortrag anlässlich der Fachtagung Palliative Geriatrie am 1. 3. 2019 in Zürich

Dieser Beitrag ist zuerst in der Fachzeitschrift für Palliative Geriatrie 3/2019 erschienen. Wir danken dem hospiz verlag für die Genehmigung zum Abdruck.

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